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Predigt am Sonntag der Kirchenvorstandswahl (14. nach Trinitatis) zu drei Fotografien von Werner Sroka
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Predigt am Sonntag der Kirchenvorstandswahl (14. nach Trinitatis) zu drei Fotografien von Werner Sroka

Predigt vom 13.09.20 (Pfarrer Frank Bohne)

... aus Anlass seiner Fotoausstellung in der Martin-Luther Kirche „Besondere Momente vor dem Vergessen bewahren“

Die Glocken der Martin-Luther-Kirche laden Sie ein zum Gebet.

(Als Evangelium wurde vor der Predigt das Petrus-Bekenntnis Matthäus 16 gelesen)

Liebe Gemeinde,
„Besondere Momente vor dem Vergessen bewahren“- heißt die Ausstellung, die seit Frühjahr hier in unserer Kirche hängt. Sang- und klanglos hat sie begonnen. Die gewohnte Eröffnungs-Vernissage - wie sonst bei uns - mit Laudatio, Grußwort und Umtrunk - musste entfallen. Corona-bedingt. Wir waren froh, wieder Gottesdienst feiern zu dürfen, mit zuerst 15 Leuten, dann immer ein paar mehr.
Dieser stille, bescheidene Auftritt der farbintensiven Fotos kam deren Schöpfer vielleicht sogar entgegen. Denn wie ich unsern Bruder Werner Sroka kennengelernt habe, den gelernten Schriftsetzer und studierten Buchgestalter, freischaffenden  Künstler und Sozialpädagogen, ist Werner Sroka manches sicher wichtig, im Rampenlicht stehen und sich feiern zu lassen, gehört allerdings nicht dazu.
Den Augenblick bedenken, genau hinsehen und auch hinhören bei so mancher Predigt, das schon. Und so war seine Zustimmung schnell gewonnen: Ja, predigen darüber, das darf sein. Ein homiletischer Versuch also. Ich hatte freie Wahl.
Meine Auswahl haben Sie nun als Bildkarte in den Händen. Damit Sie sich jetzt in der Reihe nicht umdrehen müssen. Denn die Fotos hängen eher im hinteren Teil. Verweilen Sie nachher nochmal vor ihnen, es lohnt sich.
Nun ist aber heute nicht irgendein Sonntag in der Trinitatiszeit. Wir haben Kirchenvorstandswahlen in unserer Landeskirche. Und dann ist ja noch Tag des Offenen Denkmals. Zufall? Für Christen ist der Zufall keine Kategorie.
KV-Wahl am Tag des Offenen Denkmals… Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Kirche als Denkmalsverein, der heute seinen Vorstand wählt? Für viele Zeitgenossen ist Kirche nur noch das. Sie soll sich drum kümmern, dass sie nicht verfallen. Dafür sorgen, dass die Denkmale offen sind, wenn ich im Urlaub bin.
Vielleicht hat die Landeskirche beim Denkmal-Tag ja auch nur an die vielen gedacht, die unterwegs sind. Sie können ihre Exkursionen gleich noch mit dem Wahlgang verbinden und ein paar unverdrossenen Ehrenamtlichen den Rücken stärken. Für die nächsten 6 Jahre im Amt eines Kirchenvorstehers, einer Kirchvorsteherin…
Drei Fotografien habe ich ausgesucht, weil sie bei mir Assoziationen wecken. Sie sind außergewöhnlich und sagen mir etwas über Kirche. Und wenn Sie das Folgende provoziert, kann ich mich herausreden und sagen: Nicht ich habe das fotografiert, sondern der Künstler, unser Bruder Werner Sroka.
Nun also zum ersten Bild: Die romanische Wehrkirche in Heuersdof (gebaut 1258) rollt im Oktober 2007 in das 12 km entfernte Borna. Genau diese Szene ist den Konfirmanden gestern eingefallen, als wir darüber sprachen, wie es gelingt, dass Kirche in Bewegung kommt. „Wissen Sie das, Herr Bohne, da hat man doch mal eine Kirche, die sonst abgebaggert worden wäre, auf einen Tieflader gepackt und in eine andere Stadt gebracht.“ Das Projekt hat Aufsehen erregt, damals, weit über den Landkreis hinaus. Technik, die begeistert: Man stelle sich vor: eine 800 Jahre alte Kirche wird in ein Stahl-Korsett geschnürt, hochgehoben und in die Kreisstadt verbracht. Ich kenne die Kirche, als sie noch in Heuersdorf stand. Mehrfach habe ich sie zur Konfirmanden-Abschlussfahrt  mit Jugendlichen besucht. Wir holten den Kirchenschlüssel in einem Bauernhof ab - bei einem der letzten Bewohner im Dorf und haben die kleine Kirche besichtigt. Im März war sie noch immer geschmückt von Erntedank. Verstaubte Strohblumen hingen am Altar. Wir haben im Abkündigungsbuch geblättert. Darin stand: Gedankt wird für die letzte Kollekte. Drei Euro fünfzig. Da haben die Jugendlichen gelacht. Und mir war zum Heulen. Ja, diese Kirche konnte weg! War überflüsig! Die Menschen vor Ort haben sie offensichtlich nicht gebraucht. Dreifünfzig zu Entedank. Das sprach Bände… Über den Stellenwert von Kirche und christlicher Kultur in der Region. Abendländischer Kultur, wenn sie so wollen. Abendland war abgebrannt,  schon vor der Flüchtlingswelle.
Die Kirche wurde nach Borna gebracht. Sie steht nun neben der fast ebenso alten, ehrwürdigen gotischen Marienkirche. Auch dort habe ich sie wieder besucht, zur Gemeindeausfahrt. Die technische Leistung – die  Tücken des Transports und das städtebauliche Konzept - werden in einem Film dokumentiert, den Besucher in ihr gezeigt bekommen. „Klo-Häuschen von St. Marien“ wird sie nun liebevoll von manchen Anwohnern genannt. Die dortige Gemeinde  braucht die zweite Kirche im Grunde nicht. Höchstens für manche Sonntage im Jahr, da würde die kleine Kirche reichen, und man brauchte die Große nicht zu heizen.
In meinem Kopfe fügt sich der besondere Moment, den Werner Sroka festgehalten hat, gerade heute zu einem schrillen Gleichnis. Einer Metapher auf so viele Gemeinde-Aufbauprojekte, Enwicklungsmodelle, Missionsversuche. Aufwändige, teure  Bemühungen der letzten Jahrzehnte.
„Die Kirche muss doch wieder zu den Leuten!“ Da muss sie doch hin, damit sie nicht untergeht. Kirche soll sich bewegen! Koste es, was es wolle... Und doch - bleibt diese Kirche alt. Ein mittelalterliches Konstrukt, umständlich, traditionsbeladen, denkmalgeschützt und eingeschnürt. So eine Kirche wird in einer vagen Zukunft aber grade nicht gebraucht. Jedenfalls nicht bei den Leuten, die wir im Sinn haben. Ein gut gemeinter und teurer Versuch, mit dem Risiko sich zu verheben. Besondere Momente vor dem Vergessen bewahren? Die Wehrkirche und ihr abenteuerlicher Transport sind vor dem Vergessen bewahrt. Doch wie bewahren wir das, was uns wichtig ist, was uns tröstet, hält und trägt, vor dem Vergessen? Wie bieten wir es andern als Hilfe an?

Das zweite Bild: Ziegel-Architektur. Eine Erinnerung an das verlorene Heuersdorf.
Roter Backstein im Verbund. Längs und quer. Ein Ziegel hält den anderen. Als Mauer für sich, vielleicht mit rankendem Efeu in der Nähe wirkt das Bild fast romantisch. Kawohl und andere Verlage würden vielleicht einen Psalmvers drunter setzen und als Karte verkaufen… Doch auch bedenkliche Lücken sind zu sehen. Dunkle Löcher gähnen, groß wie Ziegel, und geben nicht preis, was hinter ihnen liegt. Und wieder denke ich an Kirche...
Seit meinem Dienstbeginn gab es in unserer Landeskirche 3 Strukturreformen. Zwei gingen auf die Knochen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Versuche, zu überbrücken, mehr zu schaffen. Den Spagat. Schließlich geht es um Gemeinden, die sich seit Jahrzehnten am Ort engagieren. Für Christus. Gottes Reich. Da kann man/ frau sich doch nicht zurücknehmen…
Die dritte, letztes Jahr, war anders. Alle wussten und wissen: So geht es nicht weiter. Es braucht Eingriffe bis in die Tiefe der Substanz, ins gewohnte Gefüge. Um es mit unserm Bild zu sagen: Der Putz ist ab, schon lange. Längst ist die Statik der Kirche gefährdet. Die Löcher sind inzwischen so groß wie die Steine. In Gemeindeberatungen der letzten Jahre, bei Treffen mit Kirchvorständen, habe ich nicht nur einmal gehört: „Wir laufen nicht davon. Wir halten aus. Doch wir treten nicht wieder an.“
Geschwister in Verantwortung wollten aushalten. Bis heute, zum Wahltag. Längst sind im Erzgebirge, in der Lausitz, oder um die Ecke im Bornaer Land, die  Stimmzettel nicht so reich mit Kandidaten gefüllt wie bei uns. Längst ist es zu Überdehnungen gekommen. Es geht an die Sustanz, über die Kräfte auch der einsatzbereitesten Ehrenamtlichen. Solange die Kirche mit der eigenen Statik beschäftigt ist, kann sie nichts tragen. Beispielsweise eine Botschaft, die unter die Leute will und muss. Ein mutiges Kirchenpapier aus Thüringen spricht inzwischen nicht mehr von Aufbau-Projekten. Es schaut auf Städte im Westen, die mitten im Srukturwandel sind, und spricht von „Partnerschaft in Demolition“. Zu deutsch: Wir müssen einreißen, wenn wieder Neues wachsen soll.
Momente vor dem Vergessen bewahren...  Die Ziegel-Architektur ist schön, gern sehe ich sie an. Doch wenn sie einfällt, brauche ich sie nicht wieder aufzubauen. Vielleicht gibt es ja Leute, Geschwister im Glauben, die gar nicht so sehr auf Mauern stehen. Die viel lieber etwas ganz anderes bauen und die Steine, und dazu deine Kraft und Ideen gut gebrauchen könnten. Vielleicht wird so das Moment unseres Glaubens vor dem Vergessen bewahrt.

Das dritte Bild: Gelbe Blütenfülle zwischen Pflastersteinen am Straßenrand. Same; der aufgeht, eine Pflanze die wächst, ihre Wurzeln in Spalten gräbt und sogar Beton sprengen kann, das hat  eine große, geradezu österliche Kraft. Leben bricht sich Bahn. In der Aussellung ist das Foto als Tandem mit einem anderen gerahmt, und Werner Sroka hat ihm den hintersinnigen Titel  „Edle Blüte (Lotus) versus Unkraut“ gegeben. Und doch ist es gerade das gewöhnliche „Unkraut“, das  solche Kräfte entwickelt. Von Rosen oder Orchideen hat man so etwas noch nicht gehört. Und wieder bin ich bei der Kirche. Das dritte Bild steht für meine große Hoffnung. Was wachsen wird, das liegt meist nicht in unsrer Hand. Meist reicht es schon, wenn wir ihm nicht allzu sehr im Wege stehen. Oder es zertreten... Der Untergrund der Blütenbracht ist das Gewöhnlichste, das es gibt: grauer, formgepresster Pflasterstein. Wege und Flächen wie diese gibt es überall. Wir gehen buchstäblich darüber hinweg, nehmen es nicht weiter wahr. Denn viel lieber sind wir als Kirche in bewahrten Denkmalen, in Backstein-Ästhetik unterwegs.  Nur – so bleibt Kirche unter sich! Und wird vermutich kleiner.
Ob Christus das im Sinn hatte, als er zu Petrus und den Jüngern sprach: DU – IHR als meine Jünger seid mir wichtig. Selig seid ihr.  Auf euch will ich meine Kirche bauen. Dynamisch und beständig. Weder Tod noch Teufel sollen sie kleinkriegen, euch zum Schweigen und Verschwinden bringen. Weder Finanzknappheit noch strukturelles Gezeter, auch eine Pandemie aller 30 Jahre wird das nicht schaffen. Dafür ist das, was Gott mit euch baut, was ER wachsen lässt, viel zu dynamisch. Kirche und Gemeinde hat sich aus manchen Bevölkerungsgruppen und Teilen der Gesellschaft längst verabschiedet. Es gibt Stadtviertel in Leipzig - und Straßen in Markleeberg -, in denen kaum ein Gemeindeglied mehr wohnt. Rezepte aus der Gemeindeaufbau-Fibel greifen nicht. Was manchmal weiterführt, dass doch etwas aufgeht und wächst, ist schlichtes Probieren. Wir müssen ausprobieren, was Gott wachsen lässt. Auch auf hartem Pflaster...
In kreativen Unternehmen wird seit Jahren probiert. 20 Versuche sind für die Tonne. Doch das macht nichts. Sie probieren weiter.  Wenn ab und zu einer fuktioniert, ist es gut. Dann wird hinterher geschaut, warum, und der Laden umgestellt. So funktioniert eine komplex gewordene Welt. Kirche ist noch meilenweit davon entfernt. Da wird gerungen und gestritten, als gäbe es nur den einen, besten Weg. Dabei gibt es viele. So wie es Pflasterwege in Fülle gibt. Für jede Gemeinde an ihrem Ort wird er ein wenig anders sein. Nur eines scheint gewiss: Vieles in der Kirche wird künftig unspektakulärer, schlichter, gewöhnlicher werden als bisher. Wir kennen das Gleichnis: Das Himmelreich ist wie ein Same. Er geht auf, und du weißt nicht wo, wie und warum. Doch du kannst mitarbeiten, wenn du siehst, wie die Ernte wächst. Manchmal wundern wir uns, welchen Weg der Glaube nimmt, an welchen Stellen Menschen offen werden für Gott.

Die Kirchenvorstandswahl heute – Geschwister, die sich zur Wahl stellen, um zu gestalten - das ist auch ein besonderer Moment, von dem es lohnt; ihn vor dem Vergessen zu bewahren. Ein Team wird heute zusammengefügt. Auf demokratische Weise, Gott sei Dank. Und Gott gibt seinen erfrischenden Geist mit dazu. Er ruft uns zu Solidarität mit Geschwistern in unserer Region, die ganz anders dastehen als wir. Die an Stellen unsere Unerstützung brauchen, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Wir werden zusammen ausprobieren, was geht, wo es wächst, blüht und gedeiht. Wer jetzt schon sagt, er wüsste; wie es wird, dem glaub' ich lieber nicht. Manche werden sich mühen, die Tradition der Kirche weiter zu den Leuten zu bringen. Andere werden versuchen, auszubessern und die Statik zu schützen. Und wieder andere werden gehen und schauen, was auf hartem Pflaster wächst. Wir werden uns daran gewöhnen, dass VerschIEdenes in unterscheidlichem Tempo und zur gleichen Zeit passiert. Das wird - denke ich – die größte Aufgabe der nächsten Legislatur, der kommenden 6 Jahre im Kirchenvorstand sein. Was dann einmal in Gottes Himmelssaal hängt, im „Güldnen Schlosse“, wie Paul Gerhard singt, woran wir uns freuen und worüber wir mit den Engeln herzlich lachen werden, das wissen wir nicht. Doch es werden besondere Momente sein, die Gott vor dem Vergessen bewahrt.

Amen.

 

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Pfarrer Frank Bohne
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