Predigt am Himmelfahrtstag über Offb. 1, 4-8, im Gedenken an den 70. Jahrestag des Kirchenbrandes
Predigt vom 17.05.12 (Landesbischof Jochen Bohl) Ort: Fahrradkirche
Liebe Gemeinde,
es ist eine merkwürdige Welt, in der wir leben: so viel Gutes hält sie für uns bereit – und so viel Schweres gibt sie uns zu tragen auf. Da ist die wunderbare Freiheit, an der wir uns erfreuen dürfen; dass jeder Mensch sein Leben gestalten kann ohne staatlichen Zwang – aber zur gleichen Zeit müssen viel zu viele darunter leiden, dass sie ausgeschlossen werden und an den Rand gedrängt. So viel Reichtum im Land – und doch wachsende Armut. Die ganze Welt mit allen ihren Wundern steht den Reiselustigen offen – aber manche verachten jene, die anders sind als wir und tun ihnen gar Gewalt an. Wir freuen uns an der Verlängerung der Lebensspanne, die wir für uns und für unsere Lieben erhoffen dürfen – aber wir erschrecken vor einer Zukunft, in der es viel zu wenig Junge gibt, die sie kraftvoll gestalten könnten. Wir wollen in unseren Familien zusammenstehen und beieinander bleiben – aber in der Arbeitswelt wird erwartet, dass die Menschen flexibel, mobil und auf Abruf verfügbar sind. Jeder kann doch erkennen, dass man sich Liebe und Vertrauen nicht für alles Geld der Welt kaufen kann – aber die Jagd nach den materiellen Gütern ist in vollem Gang; und viele erliegen ihren Versuchungen, haben gar vergessen, was wirklich zählt im Leben. Wir wissen, dass wir von den Gaben leben, die Gottes gute Schöpfung für uns bereithält – aber beuten doch die Umwelt aus, als gäbe es kein Leben für die Generationen nach uns. Die Welt ist gut und schön, sie hält alles bereit, was wir nötig haben; aber unser Leben in ihr ist voller Widersprüche. Wir können Gutes bewirken, aber auch schreckliches Unheil tun die Menschen einander an.
Über all dem wölbt sich der Himmel, und er scheint unberührt von unseren Fragen, und von unserem Ergehen, im Guten wie im Bösen. Als Kind habe ich oft, anstatt die Hausaufgaben für die Schule zu erledigen, träumend in den Himmel gesehen und gedacht, wo Gott wohl wohnt, und ob er dort oben zu finden ist? Heute noch, so viele Jahre und ungezählte Gedanken und Erfahrungen später, erinnere ich mich an diese Stimmung. Jedem von uns gibt die Welt Rätsel auf, den unmündigen Kindern und ebenso den Klugen und Gebildeten. Wahrscheinlich gibt es keinen Menschen, Jung wie Alt, der sich nicht irgendwann die Frage stellen würde, wie die Welt "funktioniert"; ob es eine Macht gibt, von der sie in ihrem Inneren zusammengehalten wird, wie es geschehen kann, dass der Himmel und die Erde einander berühren, oder gar zueinander finden.
Liebe Gemeinde, wir sind Christen, wir glauben an Gott und tragen den Namen seines Sohnes Jesus Christus, der ein Mensch war, wie wir es sind und all die Sorgen und Nöte, die Freude und die Hoffnung kannte, die das Leben bereit hält für die Menschen. Er hat das Lachen und die Trauer dieser schönen, widersprüchlichen und schrecklichen Welt mit uns geteilt, bis zum Tode am Kreuz. Für uns ist er gestorben, damit wir leben können. Heute gedenken wir des Tages seiner Himmelfahrt; und wir denken nicht, dass Jesus uns im Stich gelassen hätte und sich in eine andere, ungreifbare Wirklichkeit begeben hätte, so dass wir allein zurückgeblieben wären – nein, das nicht.
Vielmehr feiern wir Ihn am Himmelfahrtstag als den Ersten und den Letzten, den Anfangenden und Abschließenden, den Schöpfer und Vollender. Wir feiern die umfassende Gegenwart Gottes in dem ganzen Reichtum seiner Schöpfung; wir dürfen unseren Herrn glauben in dem, was uns zugänglich ist – und ebenso in den verborgenen Wirklichkeiten. "Ich bin das A und das O, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige." Das Alpha ist der erste, das Omega der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets, dessen 24 Buchstaben auch für die 24 Stunden des Tages stehen. Das Bild von den Buchstaben des Alphabets bezeichnet die tiefe, alles Denken und alle Zeit einschließende und umfassende Wirklichkeit des dreieinigen Gottes. Er hat die Zeit gegeben, ihm gehört dieser Augenblick; er hat uns die Sprachfähigkeit verliehen und die Schrift; ihm gehört unser Denken; auf seine Ewigkeit hin bewegt sich die Zeit zu. Er ist das Ziel unserer Suche. Am Festtag der Himmelfahrt bekennen wir:
In Gottes Wirklichkeit ist diese Welt umfangen; und wir Christinnen und Christen freuen uns daran, dass im Glauben die Trennung von Himmel und Erde aufgehoben ist. Gott ist in allem; sein Wille geschehe im Himmel, wie auf Erden, wo er sich hat finden lassen. In Jesus Christus ist er uns nah gekommen, glaubend sind wir ihm verbunden.
Das ist die Botschaft der Himmelfahrt, und darum feiern wir diesen Tag.
Denn so wie Jesus erhoben wurde zu seinem göttlichen Vater, sagt der Seher Johannes, über alle Mächte und Gewalten hinaus, werden auch die Glaubenden erhöht, zu hochgestellten Persönlichkeiten gemacht, zu Kindern des Vaters; und diese Erhöhung bestimmt unser Leben als Christenmenschen.
Zuerst: dass wir verstehen.
In diesen Tagen wird in unserem Land wieder häufiger über die Bedeutung des Glaubens gesprochen; und das kommt nicht von ungefähr. Es ist ja so, dass vielen Menschen die Grundlagen, auf denen sie ihr Leben aufgebaut hatten, zweifelhaft geworden sind, oder gar zerbrochen; und darum suchen sie, was Halt und Zuversicht geben kann. Insbesondere die Jungen tun sich schwer, den Weg in das Erwachsenenleben zu finden, es mangelt ihnen an Orientierung in all den verwirrenden verlockenden Angeboten, denen nur schwer anzusehen ist, wozu sie am Ende gut sind; oder welchen Schaden sie bewirken. Wo Christi Himmelfahrt vergessen ist, meint man sich etwas Gutes zu tun, wenn man sich den Alkoholexzessen des Männertags überlässt – was für ein erbärmliches Bild. Nach dem Dresdner Kirchentag im letzten Jahr sagte ein Polizist, ob wir nicht jedes Jahr zusammenkommen könnten, dann hätte es die Polizei leichter. Der christliche Glaube ist eine Richtschnur in allen Herausforderungen des Lebens und eine Hilfe, dass wir uns auf unseren Wegen nicht verirren. Wer zu Jesus Christus gefunden hat, bekommt Anteil an der guten Schöpfung Gottes; und weiß, zu welchem Ziel wir leben. Der gewinnt einen klaren Blick auf die Welt und sich selbst in Zeit und Ewigkeit.
Dann: dass wir als Kinder des Vaters vertrauen. Vertrauen zu können, ist eine wunderbare Gottesgabe, eine Frucht des Glaubens, die der Herr in unsere Herzen und Sinne gibt. Ein Urvertrauen, das unsere Sorgen und Nöte kleiner werden lässt und verhindert, dass sie Macht über uns gewinnen. Wer Gott glaubt, wird in allen Unwägbarkeiten des Lebens die Erfahrung machen, nicht allein zu stehen, sondern umgeben zu sein von seiner Güte und Barmherzigkeit. Was auch immer uns geschieht – im Glauben dürfen wir uns geborgen wissen in ihm. Wer auf Gott vertraut, erfährt eine Stärkung, die hilft in den Krisen des Lebens nicht ins Schwanken zu geraten; und genau so wichtig: Gottvertrauen befreit zu dem Mut, ohne den im Leben nichts gelingt. Auch uns gibt die Welt Rätsel auf – aber wir betrachten sie ohne Furcht, sondern vertrauensvoll, in dem Glauben, dass in ihnen seine Liebe verborgen ist. Wir zittern nicht, sondern staunen, über seine Güte: Er ist es, der die Welt erhält.
Liebe Gemeinde, über uns der Himmel Gottes – dieser Ort ist ein besonderer Platz, um die Botschaft des Himmelfahrtstages zu hören. 70 Jahre liegt es heute zurück, dass ein Feuer die Kirche zerstörte. Eine lange Zeit verging, in der nicht daran zu denken war, dem Ort seine Würde zurückzugeben. So gewöhnte man sich an den Anblick der Ruine, und sie wurde zu einem unbemerkten Teil des Alltags. Nur wenige empfanden bei ihrem Anblick Bedauern oder gar Schmerz. Sechs Jahre sind es nun, dass nach einem ersten Arbeitseinsatz neues Leben einzog. Heute gibt die Martin-Luther-Kirchgemeinde mit der Fahrradkirche ein Zeichen, dass es möglich ist, aufzubrechen. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, was im Glauben möglich ist und was er bewirkt. Ein Raum für Nachdenklichkeit und Inspiration entsteht, ein Forum der Begegnung unter dem freien Himmel Gottes, geerdet in der Frohen Botschaft, die unsere Kirche zu den Menschen trägt. Wir sind dankbar für alle, die sich dafür engagieren und für ihre Beiträge.
Ja, wer auf Gott vertraut und an Tod und Auferstehung Jesu Christi glaubt, dem sind der Himmel und die Erde eins geworden, der ist erhöht wie Jesus Christus es wurde. In ihm erkennen wir den Weg, den wir gehen können. Am Himmelfahrtstag vergewissern wir uns, dass wir von unserem Gott reich beschenkt sind. Wir feiern Ihn als den Ersten und den Letzten, den Anfangenden und Abschließenden, den Schöpfer und Vollender. Wir feiern die alles umfassende Gegenwart Gottes in dem ganzen Reichtum seiner Schöpfung; und indem wir sie bewahren, geben wir unserem himmlischen Vater die Ehre. Am Himmelfahrtstag feiern wir, dass wir verstehen können und vertrauen dürfen. Der Himmel wird uns zum Zeichen: über uns und um uns der Vater Jesu Christi, der barmherzige und gnädige Gott.
Amen.
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