Pilgerandacht am Himmelfahrtstag 2019
Predigt vom 30.05.19 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Fahrradkirche
Liebe Himmelfahrtsgemeinde!
„Die menschliche Vernunft trifft ein Schicksal besonderer Art: Sie wird durch Fragen belästigt, die sie nicht abweisen kann, denn sie drängen sich förmlich auf. Sie kann sie aber auch nicht beantworten, denn sie übersteigen alles Vermögen menschlicher Vernunft.“
Dieses Dilemma unsers Denkens formulierte einst Immanual Kant. In seiner Kritik der reinen Vernunft. Aufklärung vom feinsten: Gute fromme Aufklärung. Ja, die gab es! Sie beschreibt unsere menschlichen Grenzen und hält doch fest an Gott. Sie nimmt sich selber denkerisch ernst, aber nicht zu ernst. Und weicht der Gottesfrage nicht aus. Wo ist Gott? Wie ist Gott? Und wie sind wir Menschen dazu ins Verhältnis gesetzt? Wer vor zwei-, dreihundert Jahren darauf Antwort suchte, ist zum Beispiel pilgern gegangen. Vielleicht ist das ja ein Vorschlag nachher für Sie, auf dem Weg nach Zwenkau. Ich befürchte aber, der Weg ist für ein paar gute Antworten auf diese Fragen viel zu kurz.
Wie ist Gott, wo ist Gott, und wie sind wir Menschen dazu ins Verhältnis gesetzt? Das hat schon König Salomo vor rund 3000 Jahren beschäftigt. Es sind genau dieselben Fagen, die sich dieser kluge König stellt. In einem Gebet, wohlgemerkt, bei der Einweihung des ersten jüdischen Tempels.
„Aber wohnt Gott wirklich auf Erden? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel mögen dich nicht fassen. Wie sollte es denn dieses Haus hier tun, das ich gebaut habe?“
Gott ist nicht zu fassen. Weder in einem Haus aus Stein, noch im Tempel der reinen Vernunft. Unser heutiger Feiertag, Christi Himmelfahrt, ist das Fest der Unfassbarkeit Gottes. Wir beugen uns demütig vor dieser Unfassbarkeit. Und doch versuchen wir, ihn zu fassen zu kriegen. Auch das entdecke ich an dem Gebet von König Salomo: In seinem ersten Teil redet er über Gott, versucht zu beschreiben, was das Volk alles an Gutem seinem Gott verdankt: Die Rettung aus der Sklaverei. Der Bund in der Wüste. Gott gibt Garantien... Schließlich die Verheißung: ein eigenes Land, ein eigenes Königshaus. Also Stabilität. Ein Ort zum Leben. All das kann Israel fassen. Beschreiben. Dankbar sein. Da ist Gott. So ist Gott. Genau so sind wir zu ihm ins Verhältnis gesetzt. Aber dann kommen selbst Salomo Zweifel: Wohnt Gott wirklich auf Erden? Haben wir ihn deshalb schon an allen vier Zipfeln? Nein. Was tut Salomo? Er flüchtet: von seiner Rede über Gott, in eine Rede vor Gott, zu Gott hin. Das DU im Gebet wird sein Ausweg. Sein Durchmogeln. Gott lässt sich nicht fassen. Aber ich stehe zu ihm in Beziehung. Weil es Gott selber so will. Diese Erkenntnis ist 3000 Jahre alt. Trotzdem bauen wir Menschen weiter Kirchen und Tempel. Für Gott. Israel baute Gott den ersten Tempel. Vor den Augen des ganzen Volkes und unter dem Opfer unzähliger Tiere wird er in unserem Abschnitt feierlich in Betrieb genommen. Genau wird beschrieben, wie das Bauwerk beschaffen, welche Materialien verwendet, welche Größe dafür abgezirkelt war. Allen, die Rekonstruktionen des letzten Tempels jetzt vorm inneren Auge haben, sei gesagt: Es ist noch lange nicht der mit antikem Gold erweiterte Prachtbau des Herodes. Es war ein – für unsere Vorstellungen - eher kleines Gebäude. Dorfkirchengröße etwa. Nicht größer als die Kirche hier in Zöbigker. Er musste ja auch nicht groß sein. Hauptsache, das Wichtgste hatte darin Platz: Die Bundeslande mit den Tafeln der 10 Gebote. Jene Tafeln, die Mose nach Gottes Weisung am Berg Sinai beschrieb. Diese Lade passte hinein, und Salomo versucht sich als Priester an diesem neu-heiligen Ort. Vorher war die Lade beweglich. Wie eben Gott auch beweglich war. Man erfuhr ihn unterwegs. Jetzt aber wurde dieselbe Lade stationär. Soll Gott nun auf dieselbe Weise stationär gedacht werden? Festgelegt, auf vier Wände unter einem Dach? Salomo hat bei solchen Gedanken seine Skrupel. Das passt nicht zu Gott. Und es passt nicht zur Beziehung, die Gott haben will mit seinem Volk. Gott ist kein Gott der Lade. Sein Recht und sein Gebot will in die Welt. Denn da soll es die Schwachen schützen. Schon im Gebet des Salomo wird dieser Quantensprung vollzogen. Wo ist Gott? Wie ist Gott? Und wie sind wir Menschen dazu ins Verhältnis gesetzt?
Wir Christen stehen in den Schuhen dieses jüdischen Glaubens. Das Gotteswort ward Fleisch und wohnte unter uns… - heißt es auf den ersten Zeilen bei Johannes. Für uns ist es Christus, der den Gott der Lade noch viel weiter hinaus getragen hat. Vor die Tore der Stadt, hinauf auf Golgatha, und von dort in alle Welt. Bis hin zu den Geschundenen, den Vergessenen und Abgeschriebenen. Die Jünger, die mit Christus durchs Land gezogen sind, waren von der Konsequenz dieses Gottesweges an Karfreitag völlig irritiert, zu Ostern überrumpelt, und zu Pfingsten hoch erfreut.
In der Geschichte von Christi Himmelfahrt erfährt die Gottesfrage, die Salomo und Kant so beschäftigt hat, eine neue Qualität. Ist dieser auferstandene Herr nun noch bei uns? Oder ist er weg, weil er im Himmel ist? Ist auch der Himmel nicht mehr das, was er früher mal war? Der Himmel - nicht bloß oben, weil Gott auch unten ist? Fragen über Fragen... Die Jünger treibt's zur Freude. Sie singen und beten im Tempel. Aber eben nicht nur dort. Es treibt sie vor allem hin zu andern Menschen, die von diesem Gott und seiner Liebe noch gar nichts ahnen. Wo ist Gott? Wie ist Gott? Und wie sind wir Menschen dazu ins Verhältnis gesetzt?
Martin Luther hat zu Himmelfahrt einmal gesagt: „Hüte dich ja, zu denken, Christus sei von uns weit weg! Im Gegenteil: Als er auf Erden war, da war er uns fern. Jetzt ist er uns nah.“
Der Tempel Salomos aus unserm Abschnitt wurde zerstört. Von den Babyloniern ein erstes Mal. Dann wieder aufgebaut. Von Nehemia. Und nochmal zerstört. Von den Römern. Aus jener Zeit im ersten Jahrhundert stammt eine wunderbare Geschichte aus dem jüdischen Midrasch. Das ist ein Auslegungsbuch zu Worten der Bibel. Darin wird unsere Geschichte von der Tempel-Weihe mit Salomo ein wenig anders erzäht. Es heißt darin, als die Israeliten die Lade in den Tempel brachten, da haben sie nicht nur die neuen Tafeln mit den Geboten in die Lade gepackt. Die ersten hatte Mose ja bekanntlich zerschmettert. In seinem Anfall von Wut über den Tanz ums Goldene Kalb. Der Midrasch erzählt, dass Israel die Bruchstücke der ersten Tafeln bei der Tempelweihe in die Lade mit hinein gepackt hat. Das Heile und das Bruchstückhafte, beides hat nach dieser Geschichte Platz. Bei Gott. Vor Gott. In meiner Beziehung zu ihm.
Wir feiern heute Himmelfahrt. Unter freiem Himmel. In einer Kirchenruine. Wo, wenn nicht hier, wird uns deutlich, dass Gott sich von uns nicht fassen lässt. Hier, wo wir sitzen, ist kein Dach. Kein Deckel drauf. Der Himmel bleibt offen. Das kannst du hier sehen und spüren, wenn Sonne und Wind deine Haut berühren. Gott lässt sich nicht fassen. Doch du kannst ihm begegnen. Weil Gott es so will. Das Wichtigste passt auch hier in diese Ruine hinein. Und das bist du selbst. Mit deinem ganzen Leben. Mit dem, was fertig, heil, gelungen ist. Aber auch das Unfertige, all das was dir misslungen ist. Auch die Scherben deines Lebens. Hier hat es Platz. Bei Gott. Vor Gott. In - mit - und unter - seinem Himmel.
Eine toll restaurierte vergoldete Kirche ist keine Gewähr, dass deine Begegnung gelingt. Und eine offene Ruine ist kein Hindernis, darin den Herrn deines Lebens zu erahnen. Ein Ort der Stille. Bald ein Pilgerquartier. Wo du für dich durch buchstabieren kannst: Wo ist Gott? Wie ist Gott? Und wie bist du zu IHM ins Verhältnis gesetzt?
Fragen bleiben. Sonst wäre Himmelfahrt nicht Himmelfahrt. Fest gefügte Antworten gibt es nicht. Aber DER, den Himmel und Erde nicht fassen können, der will dir unter solchem Fragen begegnen. Sprich mit IHM. Sprich vor IHM. Sprich auf IHN hin. Denn ER bleibt noch immer bei Dir. Amen.
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