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Predigt zum ökumenischen Gottesdienst am Buß- und Bettag 2019
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Predigt zum ökumenischen Gottesdienst am Buß- und Bettag 2019

Predigt vom 20.11.19 (Pfarrer Bohne) Ort: Kirche Großstädteln

Vor der Predigt wurde eine Bild mit Scherben eines zerbrochenen Tonkruges  betrachtet und der folgende Text gelesen:

Der zerbrochene Krug

Wer kennt sie nicht, die Komödie von Heinrich von Kleist?
Eine Parabel über menschliche Schuld,
die Unfähigkeit, sie einzugestehen,
und den Versuch, sie auf andere abzuwälzen.
Dorfrichter Adam: einer, der schudig wird und es nicht wahrhaben will – wie sein Namenspatron (im Garten).

Ein zerbrochener Krug

Sinnbild für das, was Schuld anrichten kann:
Beziehungen zerbrechen – zu Menschen, auch zu Gott.
Wunden, Verletzungen, Zerstörungen.
Scherben bleiben zurück.
Manche können wir kitten.
Narben bleiben zurück,
doch der Krug wird heil -
für Wasser oder Wein.
Aber nicht für die Unschlud,
in der wir uns die Hände waschen wollen.
Doch manche Scherben sind zu scharf.
Wir verletzen uns.
Wir müssen sie liegen lassen.
Gott wird sie für uns kitten.

Predigt

Scherben bringen nicht nur Glück. Sie sind Zeichen, dass etwas zu Bruch gegangen ist. In unseren Beziehungen zu anderen Menschen. Zwischen Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen. Manchmal reden wir vom Scherbenhaufen, der entstanden ist. Den wir hinterlassen haben. Der Feiertag heute gibt Gelegenheit, sich der Scherbenhaufen, die uns umgeben, zu stellen - sie wahrzunehmen, aufzusuchen, zu betrachten. Wenn' s sein soll, sie auch zusammenzukehren.
Dabei geht es nicht, wie sonst bei Einkehr und Besinnung, um deine und meine persönliche, mehr oder minder verborgene Schuld. Heute nicht! Die hat seit eh ihren Platz in der Beichte, in der Seelsorge, im Gebet.
Bußtag wendet sich der verschwiegenen Schuld eines Gemeinwesens zu, dem aufgehäuften und sich gegenseitig verstärkenden Scheitern einer Gesellschaft. Dem Versagen im Dorf, Wohnviertel und Stadt. Dem Versagen von Schichten und Eliten in unserem Land. Insofern – auch wenn's uns nicht gefällt –  ein hochpolitischer Tag.
Die Bibel des Alten Testaments hatte dafür ein feines Gespür: Was offen geblieben war, wofür man niemanden verantwortlich machen und bestrafen konnte. Das ungesühnte Verbrechen zum Beispiel, die verweigerte Liebe gegenüber Fremden, schuldig gebliebenes Gastrecht und Hartherzigkeit gegenüber den Armen in der eigenen Stadt. All das war doch da. Ließ sich nicht wegreden, unter den Teppich kehren. Doch wohin damit?
Dafür gab es den großen Versöhnungstag. Der Bußtag des Volkes Isreal: Jom Kippur. Da wurde solche Schuld benannt. Vor Gott gebracht. Und dann der Sündenbock damit beladen und in die Wüste geschickt. Dann war sie fort, die Schuld.
Aufatmen. Wenigstens für ein Jahr. So wollte es Gott.  Vergebung, Versöhnung. Ein Neuanfang. Dass Menschen neu miteinander leben können. Als Gruppen, als Gemeinschaft.
In deutschen Landen blieb dieses feine Gespür fürs Versagen auch eines Gemeinwesens über Jahrhunderte erhalten. Landesherren fühlten sich dafür verantwortlich: Schuld zu benennen, Gottesdienste anzusetzen, ihre Landeskinder zur Buße anzuhalten. 28 Bußtage gab es im Kalender bis ins 19. Jahrhundert hinein. In den über 40 deutschen Kleinstaaten. Im Zuge der Einheit des Deutschen Reiches gab man sich Mühe, dann einen gemeinsamen Tag zu finden. Es gelang erst 1932. Der Mittwoch vor dem Totensonntag sollte es sein. Ausgerechnet die Weimarer Republik führte diesen Feiertag ein und schützte ihn durch Gesetz. Auf den letzten Metern ihres Bestehens. Als die Gesellschaft grade vor die Hunde ging. Dann wurde der Tag von den Nazis wieder abgeschafft - gewandelt zum Heldengedenktag. Denn Deutsche machten nach ihrer Ideologie keine Fehler als Volk. Als Herrenmenschen beteten sie für den Endsieg.
Die zweite deutsche Republik erinnerte sich an Weimar. Im Angesicht des Scheiterns einer ganzen Generation. Im Angesicht des Scherbenhaufens der Geschichte. Als Tag der „inneren seelischen Erhebung“, wie unser Grundgesetz religiöse Feiertage versteht. Dafür wurde der Tag erneut gesetzlich geschützt.
Und als Beitrittsgebiet kam er so auch über uns, die Ostdeutschen. Wenn wir ihn nicht schon kannten aus den Gottesdiensten der kirchlichen Friedensbewegung, die an genau diesem Abend mit den Geschwistern im Westen für den Frieden in Europa und das Überwinden der Feindbilder zu Gott gebetet hat. Über Jahrzehnte. 1995 wurde der Buß- und Bettag bundesweit wieder abgeschafft. Um Arbeitsausfall zu vermindern, wie es hieß. Zugunsten der Pfegeversicherung, damit dort die Kasse stimmt. Das ist schon schrill: Damit das Pflegen alter Menschen nicht belastet, kein Innehalten und Nachdenken über Versagen mehr, kein Erheben der Seele. Das kann ja jeder selber machen, zu Hause, privat. 16 Bundesländer sollten selbst entscheiden, was sie für richtig halten. Nach den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung. Wie die tickt. Und weil die Sachsen manchmal langsamer ticken, gibt es ihn bei uns noch, den Buß- und Bettag. Nicht ohne Anfeindung von Kritikern, die meinen, Kirche und Religion gehörten eh'  zurückgedrängt.
Wer ihn nicht mag, fährt heute ins Nachbar-Bundesland und erledigt die ersten Weinachtseinkäufe. Und steht jetzt vielleicht im Stau… „Einen schönen Feiertag!“ wünschte mir gestern die Verkäuferin bei LIDL an der Kasse. Was sie damit wohl gemeint hat? Innehalten, nachdenken über unser Land, was in ihm alles schief läuft? Über unser gemeinsames Versagen? Sicher nicht! Das ist nicht schön. Dazu haben die Leute keine Lust. Doch was wird dann aus den Scherben? Wo ist das Gespür in unserm Land, dass es da, wo Menschen zusammenleben und sie ein Gemeinwesen versuchen zu gestalten, auch zu Verwerfungen kommt. Zu strukturellem Unrecht, zu Verfehlung und Schuld, die sich in den Auseinandersetzungen nicht einfach auflösen, sondern eher potenzieren.
Und es ist viel zu Bruch gegangen! Um bei uns selber, in der Kirche anzufangen: Die Auseinandersetzung um unsern Bischof, seine alten und falschen Gedanken in rechten Blättern. Das Einander-Absprechen von Würde und Autorität. Autorität als Schwester, als Bruder im Herrn, damit ich nicht missverstanden werde! Um nichts anderes geht es mir.
Was ist mit den Fehlern, die wir Christen machen, in Amt und Würden, und als Gemeindeglieder? Das Petitieren hin und her. Da ist viel Porzellan zerschlagen worden.
Einen Scherbenhaufen kann man auch in unserm schönen Sachsenland ausmachen: Die Scherbenspur geht bis in Familien hinein. Angehörige geraten auf Geburtstagsfeiern aneinander, weil die einen blau, und die andern schwarz, rot oder grün wählen wollten. Und Mütter bitten Händeringend, dass man doch einfach für ein paar Stunden den Mund halten soll. Doch vom Mund-Halten, dem Vermeiden von Diskurs und kultiviertem Streit wird es auch nicht besser.
Und was ist mit den Scherben zwischen arm und reich? Leuten, die haben - ein Haus zum Beispiel. Und denen, die händeringend bezahlbaren Wohnraum suchen. Anscheinend werden es bei uns immer mehr. Und die Gesellschaft schaut hilflos zu und überlässt Immobilienfonds das Handeln. Autokonzerne betrügen Millionen von Kunden. Schuld hat da keiner. Sie raten, nun bald ein neues zu kaufen. Am besten eins mit Strom. Weiß der Teufel, wie viele Arme dafür in Chile und Peru – wo die edlen Rohstoffe herkommen - ihr täglich Brot verlieren. Was soll eigentlich mit diesen Millionen werden, wenn wir alle erst umgestiegen sind? Hat unsere postmoderne Gesellschaft dafür noch ein Gespür? Auch in der Natur in unserm schönen Vaterland lässt sich nicht mehr verbergen, was da schon zu Bruch gegangen ist und weiter geht. Insekten, Bienen, gibt's nun eher in der Stadt. Nicht mehr auf dem Land, wo sie hingehören. Denn dort können sie nicht mehr überleben - im Maisfeld fürs Biogas, in den Zuckerrüben für Äthanol im Sprit. Und wie geht’s dem Grundwasserspiegel vom Sommer? (Lebt denn der alte Holzmichel noch?) Tannen, Eichen, alte Obstbäume sterben. Ihre Wurzeln sind nun zu flach. Man sieht sie an der S-Bahn-Trasse, wenn man genauer hinschaut. Meine Nachbarn haben täglich die Koniferen beregnet. Für den Schatten, in dem die Limousine steht. Der größte Scherbenhaufen in unserm Land, der liegt zwischen der realen und der virtuellen Welt, in die sich immer mehr Zeitgenossen flüchten und dem echten Miteinander von Menschen aus Fleisch und Blut lieber ausweichen. Im Netz werden Halbwahrheiten und Worte voll Hass getippt, gepostet und geliked. Scherben, die scharf sind und verletzten wie Messer. Versagen, Scheitern und Schuld, die nicht im Netz bleiben, die sich verselbständigen und neues Unheil stiften. Was wird mit all dem? Den Scherbenhaufen, die da sind? Die sich nicht unter den Teppich kehren lassen und unser Miteinander belasten.
Weißt du nicht, Mensch, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?“ hat Paulus an die Geschwister nach Rom geschrieben. Wem es gut geht, wer die Güte Gottes erkannt hat, der entwickelt ein feines Gespür, was noch im Argen liegt. Geht es an, benennt es, bringt es vor Gott. Dafür ist Bußtag. Von Zeit zu Zeit. Ganz ähnlich wie im Alten Testament. Allerdings haben wir keinen Sündenbock mehr…  Oder doch?
Wenn es andere Menschen sind, denen wir Schuld aufbürden, anlasten, auf sie abschieben, dann haben wir vom Neuen Testament nichts verstanden.
Unser Sünden-Lamm ist Christus. Mit seiner Liebe im Herzen können wir uns den dunklen Seiten an uns selber stellen. Den Dingen, die nicht in Ordnung sind in unserm Miteinander, in unserm Gemeinwesen, auch in unserer Kirche.
Und Christus? Der gibt uns Raum, gibt uns Gelegenheit zur Umkehr. Fehler und Missstände sollen nicht übertüncht und weg-entertaint, sonden angesprochen und geändert werden.
„Herr, lass ihn noch dieser Jahr“, sagt der Knecht in Jesu Gleichnis vom Feigenbaum. „Ich will um ihn graben, ihn düngen und mir Mühe geben. Vielleicht bringt er ja dann wieder Frucht.“
Christus ist unglaublich geduldig, mit Dir und mir, und auch mit unserm Gemeinwesen, in dem wir leben und arbeiten. Dieses Gemeinwesen sollen wir mit Liebe gestalten, es hacken und düngen, damit es Frucht bringt für alle. Nicht bloß für die Starken, die Schönen und die Reichen.
Christus gibt uns seinen heiligen Geist, damit wir klarer hinsehen und aufmerken. Damit wir Kraft finden, Unangenehmes anzusprechen.
An unserem Wesen wird die Welt nicht genesen. Aber was soll ohne uns, ohne Gottes Kinder, Jesu Schwestern und Brüder, werden, wenn das Gemeinwesen das Gespür für die Scherben verloren hat - oder erfolgreich verdrängt? Da dürfen du und ich zum Auge und zum Ohr, zur Zunge und zum Finger werden. Wir sollen eintreten für diese Stadt, für dieses Land, diese Gesellschaft. Für sie bitten und beten, und so für sie wirken. Nicht mehr will Buß-und Bettag sein.
Aber auch nicht weniger.

Amen.

 

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Pfarrer Frank Bohne
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