Predigt zum Reformationsfest 2018 über Galater 5, 1 - 6 und die Deutsche Messe von Franz Schubert
Predigt vom 31.10.18 (Pfarrer Stephan Bickhardt) Ort: Martin-Luther-Kirche
Liebe Gemeinde,
kennen Sie Menschen, die Physik studiert haben? Kennen Sie Menschen, die Physiker sind? Warum frage ich das? Es sind bekannte Menschen, die Naturwissenschaftler sind und hier insbesondere Physiker, die weit über ihr Fach hinaus aktive Männer und Frauen in der Gesellschaft sind. Die Bundeskanzlerin, die in Leipzig Physik studierte, geht einen wohlüberlegten Schritt des Rückzugs, so wie übrigens ihre Entscheidungen, gerade auch die umstrittensten, wohlüberlegt waren. Der Physiker und Atomforscher Karl-Friedrich von Weizsäcker rief einst den konziliaren Prozess der Kirchen für Frieden, Gerechtigkeit und Umweltbewahrung auf einem Kirchentag ins Leben. Es gibt aber auch ganz viele Menschen aus dieser Wissenschaft, die gleichfalls über enge Grenzen gegangen sind und ziemlich unbekannt sind.
Zu ihnen gehört auch der Physikprofessor am Wiener Polytechnischen Institut ab 1816, Johann Philipp Neumann. Neumann schrieb die Vorlage für die Deutsche Messe des Komponisten Franz Schubert. Erstaunlich. Sehr erstaunlich. Da wagt ein im Nebenamt leidenschaftlich literarisch tätiger in den Ablauf der Messform einzugreifen, vor allem dem inneren Sinn nach einzugreifen. Bitte, die Heilige Messe, ist doch heilig bis in das Wort hinein. Hier ist ein tief gläubiger Christ in einer Weise vom Glauben ergriffen, dass es ihn zu eigenem Bekennen, zum eigenen Glaubenswort drängt. Franz Schubert schuf hier eine romantische Volksmesse, die in Einzelteilen auf Friedhöfen, in Konzertsälen und in Kirchen erklingt. Sie erreicht auch Nichtchristen. Wir hören hier also eine freie Übertragung eines liturgischen Textes, einer Liturgie, der auch weitgehend der evangelische Gottesdienst folgt.
Die Worte des Physikers Johann Philipp Neumann brachten ihm Ärger ein. Die römisch-katholische Erzdiözese Wien gab zunächst Warnung vor dieser Konzertmesse. Aber einzelne Gesänge verbreiteten sich schnell als Lieder in Gesangbüchern und so wurde die Messe bekannt und bald immer öfter als ganze gesungen, so auch heute am Reformationstag in der Martin-Luther-Kirche.
Liebe Gemeinde, als ich vor einigen Tagen die Mitteilung erhielt, heute werde hier die Deutsche Messe von Johann Philipp Neumann und Franz Schubert aufgeführt, da musste ich kurz schmunzeln und begriff dann schnell. Werde ich hier auf eine reformatorische Prüfung gestellt, eine katholische Messe am Reformationstag? Was hat der Kantor vor mit mir? Und schnell las ich den Text genau. Zweimal wird die Messe in ihren 8 Teilen textlich besonders eindrücklich vorgetragen, in Teil I und Teil IV, Teil IV hörten wir gerade. Da nämlich verlässt Neumann den einfachen Reim und dichtet eindringlich im Reim über Kreuz, im Kreuzreim. Wir hörten das im Teil IV „Zur Gabenbereitung“ (Zum Offertorium). Und darin erklang in der Mitte:
„Wohl mir! Du willst für deine Liebe/
ja nichts, als wieder Lieb‘ allein;/
und Liebe, dankerfüllte Liebe/
soll meines Leben Wonne sein.“
Mit diesen Worten von der Liebe, der Liebe allein – darum ist gleich 4x von der Liebe die Rede – mit diesen Worten, sind wir geradewegs in den Predigttext für den Reformationstag 2018 schon eingeführt. Denn der Apostel Paulus schreibt: „Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Hören wir den ganzen Predigttext. Er steht im Galaterbrief des Apostel Paulus im 5. Kapitel:
1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Gott segne dieses Wort an uns, liebe Gemeinde.
In Christus gilt der Glaube etwas, der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Das Leben in Christus bewegen, im Glauben sein, der durch die Liebe tätig ist. Das Leben in der Gemeinschaft führen - in dem, was mich beschäftigt bewegt sein, im Gespräch sein, damit beginnt es, in der Liebe tätig zu sein, tätig. Und der Physiker dichtet von der Liebe in dieser Weise: Du, Gott, „willst für deine Liebe“/ … meine „Lieb allein; dankerfüllte Liebe/ soll meines Leben Wonne sein.“ Wer von Gottes Liebe durchdrungen lebt, durchdrungen eben, lebt in der Liebe, denn es geht nicht mehr anders als in ihr tätig zu sein. Der Glaube drängt liebevoll tätig zu sein, es geht einfach nicht mehr anders. Könnte uns das hinreißen, liebe Schwestern und Brüder, liebe Jugend hier? Hinreißen? Ein Leben führen, in dem ich mir nicht immer Aufgaben stelle gegenüber mir selbst und anderen!
Ein Leben leben, indem die Liebe Chrisi in mir aufgeht, ich stark werde, der Glaube um sich greift und ich gelöst in Liebe tätig bin. Welche Freude, so ummantelt zu sein, wie es sphärisch möglich ist, wenn der Chor singt, wie er hier heute die Messe singt. Hinreißen lassen zur Liebe? Am besten gar nicht mehr wissen, jedenfalls das unerträglich Fragen dahinterlassen und einfach handeln, aus Glauben handeln, das kann dann nur liebevoll und Grenzen überwindend sein.
Ein uneingeschränktes JA. Ja, so ist es gemeint mit dem Glauben, da ist auch diese Frage dann verlassen: lebe ich zufrieden?
Ein uneingeschränktes JA. Die Gnade und Liebe Jesu Christi macht noch jedes harte Herz weich.
Ein uneingeschränktes JA. Der Glaube kann ganz ausfüllen und unendlich Kraft geben.
Martin Luther hat diesen Glauben, den Goldschatz des Evangeliums, wie er im Thesenanschlag schrieb, an das Wort gebunden, an die Erkenntnis des Wortes von Gott. Das Wort macht dich zum liebenden Menschen, sein Wort ruft uns in seine Liebe zur Liebe. Und Martin Luther hatte echte Feinde, die ihn um der Wortfreiheit willen zum Feind erklärte, so ziemlich zum Feind aller öffentlichen Institutionen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Merkwürdig: der Liebe Gottes aus Gottes Wort ganz vertrauen, kann einem Feinde machen, kann Not bringen. Gott nun alles bringen, alles vor ihm tun, ihn in der Gegenwart des Lebens wissen, kann ungemein beruhigen und Angst nehmen.
Der Apostel Paulus legt den Grund für die reformatorische Erkenntnis. Er geht auf eine damals brennend aktuell diskutierte Frage in den christlichen Gemeinden Galatiens ein. Galatien, eine römische Provinz. Nein, sagt er, Menschen, die neu zur Gemeinde kommen und keine Juden sind, müssen sich nicht beschneiden lassen. Und Menschen, die zu jüdischen Gemeinden im Römischen Reich gehören und nun zur christlichen Gemeinde kommen, die sind beschnitten und das wird geachtet. Die Beschneidung des männlichen Geschlechts ohne die Herkunft aus dem Volk Israel ist aber widersinnig.
Liebe Gemeinde, der Apostel ist um seiner Worte gegen die Beschneidung von Nichtjuden manchmal als antijüdisch beschrieben worden. Nein, das gibt die Auslegung nicht her. Und darum beklagen wir gerade in diesen Tagen den Antijudaismus und den Antisemitismus. Wo sind wir wieder hingekommen? Der Bundestag muss einen Antisemitismusbeauftragten einsetzen, die Polizei muss jüdische Einrichtungen schützen mit verdecktem Aufwand und sichtbarem. Ich habe in meinem Amt als Polizeipfarrer einmal erlebt, in welcher äußersten Aufregung israelische Geheimdienstoffiziere den Schutz von Juden und israelische Staatsbürgern organisieren.
Alle, die sich heute gegen Hass auflehnen, handeln im Geist der Liebe. Darum trauern auch wir mit vielen anderen um die Mitglieder jüdischer Gemeinden in Pittsburgh – 11 Menschen -, die am 27. Oktober einem Gewaltverbrechen zum Opfer fielen. Und da wir heute das Liebe stiftende Wort Gottes in unsere Herzen hinein feiern, will ich denen unter uns ganz herzlich danken, die sich im Geist der Liebe und unter Abwendung der Gleichgültigkeit für Menschen einsetzen, die verfolgt sind. Für Flüchtlinge, für Heimatlose, für verfolgte Christen, für syrische Kinder, für den Markkleeberger Gemeinschaftsgarten, wo sich Menschen, die auf soziale Hilfe angewiesen sind mit Geflüchteten treffen und für das Flüchtlingskaffee im Katharina von Bora-Haus. Ich danke denen, die sich um Arbeitsstellen und Ausbildungsplätze mühen, aktiv dafür sind in Leipzig und Markleeberg und für die Hilfe einiger Gemeindeglieder für das Gesundheitszentrum in Maluku im Kongo. Und wie oft sind bei allen diesen Bemühungen auch Enttäuschungen zu überwinden. Es sind erstaunlich viele unter uns und Sie tun es leise. Ich gebe diesen Dank nur weiter, liebe Gemeinde, von dem Gott, der Heil und Heilung unter Menschen bringt in Jesus Christus. Sein heiliges Wort wirkt, seine Speise in Brot und Wein sättigt, seine Liebe trägt und verwischt nicht das Böse in der Welt.
Und wir nehmen bitte Ermutigung auf, befreite Menschen zu sein in Liebe, die niemals enden wird. Manchmal freue ich mich – und damit schließe ich in einem Bild - auf den nächsten Morgen schon am Tag zuvor. Vielleicht kennen Sie diese Sehnsucht. Nach einem langen Tag erschöpft, die Hände falten und schon vorab wissen, morgen ist ein neuer Tag. Dann wirst du erleichtert sein und Neues beginnt. Ist es nicht genauso mit der Berufung zu Christus hin? Morgen bist du da, Herr der Kirche und des Lebens und schenkst Kraft. Du erwartest nicht, dass ich jeden Morgen selber Neues erfinde. Du willst ganz einfach Antwort – mit einem Ja zum Leben, einem Leben, das sich hinreißen lässt zu tätiger Liebe. Johann Philipp Neumann schrieb von „Liebe, dankerfüllter Liebe“. Und bei „dankerfüllt“ erhoben sich die Stimmen des Chores zur Ehre Gottes. Morgen in tätiger und dankerfüllter Liebe stehen! Die Lebenstage halten Neues bereit. Ich bitte Gott, dies soll für jeden Einzelnen von uns wahr werden.
Amen.
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