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Predigt am 2. Advent 2019 zu Jesaja 63
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Predigt am 2. Advent 2019 zu Jesaja 63

Predigt vom 08.12.19 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche

Liebe Gemeinde!
Was lieben wir an der Adventszeit? Den Zauber, der vom Kerzenlicht ausgeht und sich tausendfach auf Lichterbogen wiederfindet? Der Duft nach Zimt und Tannengrün? Oder sind es die vertrauten Lieder? An vielen Orten sind sie zu hören, nicht nur in der Kirche. Sie begegnen auf Weihnachtsmärkten, in Geschäften, im Radio. Wenn wir sie hören, rühren sie uns an. Manchmal summen wir mit. Ihre Melodien vermitteln Geborgenheit, machen das Herz ruhig. Wie anders klingt da ein Lied aus dem Jesaja – Buch, auch das ein Advents-Lied! Es ist die alttestamentliche Lesung für den 2. Advent.

Lesung: Jesaja 63,15 – 64,3

Was für ein Lied! Es besingt – ja beschwört – die Ankunft Gottes in der Welt. Nur schlägt es ganz andere Töne an, als wir gewohnt sind. Was da vorgetragen wird, erschreckt geradezu. Fragen über Fragen sprudeln hervor. Auch Vorwürfe. Vorwürfe an Gottes Adresse... Was bringt einen Menschen dazu – oder ist es gar eine Gruppe? – so ein Lied anzustimmen, so mit Gott zu streiten und zu hadern?
Die letzten Kapitel im Jesaja–Buch, aus dem das Lied stammt, sind erst im 6. Jahrhundert vor Christus aufgeschrieben worden. Ausleger nennen diesen Teil auch den „3. Jesaja“. Zu dieser Zeit hatten die Babylonier Israel wieder verlassen. In die Flucht geschlagen von den Persern. Viele Familien durften nun - nach Jahrzehnten babylonischer Gefangenschaft -wieder nach Hause zurück. Doch was finden sie vor? Viele Häuser – zerstört.  Angehörige – verschollen. Die Felder - über Jahre vernachlässigt und nicht bestellt. Sie bringen kein Brot. Und was besonders schmerzt: Den Tempel von Jerusalem hatten die feindlichen Soldaten entweiht, geplündert, zerstört. Und die Leute, die wohnen geblieben waren, die neue Oberschicht, die war nicht eben glücklich, daß die alten Bewohner zurück kamen, dass sie ihre Häuser und Felder zurück haben wollten und glaubten, nun werde wieder alles wie früher. Stattdessen gab es handfeste Konflikte: um Einfluß, um Macht und Interessen. Wer … würde ... wo ... wohnen? Wer sein Land zurück bekommen? Und wer den Tempel wieder aufbauen? Alle zusammen, solidarisch geschultert – je nach dem, was jeder hatte – oder am Ende doch nur wieder die Dummen? Unendlich groß war die Mühe, ein vor Gott verantwortliches Leben wieder in Gang zu bekommen. Und wo war Gott in all dem? Der schien sich wohl gar nicht um sein Land, sein Volk in diesem zerrütteten Land zu kümmern?!

Ja, wenn doch der Himmel zerrisse und die Berge zerflössen… ruft der Sänger aus. „Wenn doch ein Feuer losbräche, so wie beim Reisighaufen, schlagartig fängt er Feuer und versengt dann alles...“

Wenn Gott dazwischen ginge – mitten hinein in all die Ungerechtigkeit, in die Selbstgefälligkeit der Leute, in allen Streit – ... dann würde mancher vielleicht die Kurve kriegen und merken: Dass es kein Spaß ist, die Sache mit Gott. Dass es IHM ernst ist mit seiner Welt ...
Ich kann solches Wünschen auf Gottes Eingreifen gut verstehen. Aber glauben die Leute auch, dass Gott es tun würde? Ich denke, das glauben nur die wenigsten. Doch selbst da sind wir bei unserem Lied noch in guter Gesellschaft. Da heißt es: Wenn du das Furchtbare tust, das wir nicht erwarten ...“
Der Zweifel ist meist größer als der Glaube an Gottes  Eingreifen in der Welt. Und das ist auch gut so. Denn dann müsste Gott ja zuallererst in unser Leben eingreifen. In das der eigenen Leute. Auch das hat der Sänger damals schon gespürt, wenn er offen ausspricht: „Warum lässt du uns abirren von deinen Wegen, Herr? -  und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?“ Wenigstens ehrlich ist dieser Sänger geblieben. Bleibt die Frage, was wir tun sollen, wenn Gott nicht auf gewaltsam-überzeugende Weise eingreift. Sollen wir dann selber die Welt verändern? Die Menschen? Uns selbst?
Die Menschen damals, die dieses so andere Adventslied angestimmt haben, sie haben als erstes ihren Glauben verändert. Mich überrascht die Art von Glauben, der dahinter steckt. Kein Lamentieren: Ach Herr, warum? Und warum ich? Auch kein Sich-selbst-zerfleischen bis in die letzte Faser der sündigen Existenz... Statt dessen ein Ton, der forsch ist - und Gott bei seiner Ehre packt.

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen Wohnung! Wo ist denn nun dein Eifer und deine Macht?“

Das klingt nicht gerade demütig – fromm. Das klingt eher frech. „Warum versteckst du dich, Gott? Bist du überhaupt noch da?“  Solche Worte hören wir eher selten aus dem Munde von Frommen. Doch hier reden Menschen mit Gott, wie ihnen zumute ist. Sie machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube, auch nicht gegenüber Gott. Sie lassen heraus, was sich darin angesammelt hat. Und nehmen genau so Gott in ihre täglichen Erfahrungen mit hinein. In ihre Frömmigkeit. Das Soziale - sogar das Politische - haben einen Platz gefunden im Lied, im Gebet. Das sollten wir heute nicht vergessen, auch und gerade in unseren Gottesdiensten nicht. Und erst recht nicht im Advent. Denn der ist politischer, als uns lieb ist: Jesus reitet mit einem Herrschaftsanspruch in Jerusalem ein. Und es ist nicht nur meine Sünde. Es ist auch die Tagespolitik, die ihn dort auf’ s Kreuz legt.
Und Johannes der Täufer, dessen Umkehrruf uns am nächsten Sonntag erwartet, der hat auch etwas zu sagen zum öffentlichen Leben. Zum Ausüben von Macht – und zum Missbrauch derselben.
Das Lied bei Jesaja ist also in guter Gesellschaft. Es reiht sich ein in die Linie, dass Advent eigentlich nichts Gemütlich-Betuliches ist: für die winterliche Ecke, in der ich mich eingerichtet habe in rauhen Tagen… Eine „Verwohnzimmerung des Glaubens“, wie es Wolfgang Huber einmal genannt hat. Im Advent geht es um das Kommen Gottes. Und DER kommt vom Himmel herab auf die Erde, auf der auch das Soziale und das Politische im Argen liegen. So verändern die Singenden im Jesaja–Buch ihren Glauben: Gott, dem Allmächtigen, der anscheinend tatenlos zusieht, wie auf Erden so viel Böses geschieht, IHM schreien sie ihre Klage entgegen. Wer den Aufschrei auf der Straße, in der Öffentlichkeit nicht wagt, der sollte also wenigstens in der Kirche kein Blatt vor den Mund nehmen. Unser Glaube hält das aus. Und Gott sowieso. Denn DER ist ganz andere Dinge gewohnt! Tun wir also in unseren Gebeten und Gesängen nicht so, als könne Gott die ganze Wahrheit nicht vertragen. Nehmen wir unseren eigenen Glauben ernst, der davon ausgeht, dass Gott da ist.
Peter Härtling, durch viele gute Kinderbücher bekannt, hat seinem Religionslehrer einst auf die Frage nach Gott geantwortet: „Gott ist tot, Herr Pfarrer!“ Und wie reagierte der Lehrer darauf? Weder verteidigte er Gott noch verurteilte er den Jugendlichen. Er ging auf den Schüler zu, legte ihm den Arm auf die Schulter und sagte: „Das musst du ihm schon selber sagen!“ Jahrzehnte später schreibt derselbe Härtling: „Mit dieser Antwort kehrte Gott in mein Leben zurück, freilich zögernd befragt und immer wieder von neuem bezweifelt.“
Da müht sich einer um Gott, indem er klagt. Indem er von Gott etwas fordert. Und wer von Gott etwas verlangt, der nimmt IHN ernst. Deshalb kehrt Gott in sein Leben zurück. So will ich das etwas andere Adventslied bei Jesaja verstehen. Solche Art „heiliger Frechheit“ steht auch uns gut zu Gesicht. Sie steht uns besser als frommes Gehabe, das sich im Grunde doch abfindet mit den Gegebenheiten der Welt, das Gott aus wichtigen Teilen des Lebens heraus hält, IHN „verwohnzimmert“. Den Glauben verändern ist der erste Schritt.
Und dann der zweite entscheidende Schritt: Nicht von der Macht ist etwas zu erwarten. Von der Staatsmacht sowieso nicht. Doch auch nicht von der Allmacht Gottes. Allerdings - von seiner Barmherzigkeit! Davon schon! Auch das fällt mir an unserem Klage- und Protestlied auf: Nach vielen Worten über Gottes machtvolles Eingreifen, den bedrohlichen Bildern von Feuer und Erdbeben, gehen die Gedanken plötzlich in eine ganz andere Richtung: „Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir,  der so wohl tut denen, die auf IHN harren…“ , hören wir. Auch da wird Glaube verändert. Ein Glaube, der nicht mehr auf Gottes Eingreifen wartet. Sondern Glaube, der auf Gottes Wohltaten vertraut. Auch dann noch, wenn die Sehnsucht nach schnellen gewaltsamen Lösungen wieder Boden gewinnt.
„Ach dass du den Himmel zerrissest ...“ Was der Beter fordert, es geschieht tatsächlich: fünf Jahrhunderte später. Gott zerreißt den fernen, unerreichbaren Himmel und kommt zu uns. Er beobachtet nicht nur vom Himmelsfenster aus, was hier unten gespielt wird. Er spielt mit. Aber ER lässt sich nicht auf unsere Spielchen ein. Gott spielt SEIN Spiel.
Völker zittern nicht, und auch Berge wanken nicht, als er kommt. Unauffällig kommt ER: als Kind, geboren in aller Schäbigkeit, teilt ER das Los von jenen, die hier klagen. Er wird bedroht und in die Flucht geschlagen, am Ende auf’ s Kreuz gelegt. Ganz unten ist Gott zu finden. Nicht oben. So geht die Sache aus, wenn Gott den Himmel zerreißt...
Wir haben die Sache so viele Male schon durchbuchstabiert. An Ostern und an Weihnachten. Doch hat es unseren Glauben verändert? Warten wir etwa immer noch, dass Gott gewaltsam dazwischen geht, was uns nicht gefällt? Oder vertrauen wir dem Weg, für den Gott sich entschieden hat: Vertrauen wir auf seine herzliche Barmherzigkeit? Darauf, daß nur Barmherzigkeit die Welt wirklich verändern kann. Von unten. Nicht von oben.
Wo Berge zerspringen und Feuer lodert, wo Gewalt sich durchsetzt, dort bleibt alles beim Alten. Nur der Spieß wird umgedreht, gelegentlich. Und immer müssen Menschen zittern, leiden und sterben. An diesem Spiel der Gewalt beteiligt sich Gott nicht mehr. Gott sei Dank!
So wendet sich der harte Ton unseres Adventsliedes doch in Nachdenklichkeit: Nicht Gewalttaten, sondern Wohltaten sind von Gott zu erwarten. Eben: Barmherzigkeit. Und ganz unten fängt Gott damit an.

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Pfarrer Frank Bohne
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