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Predigt zu Lukas 10, 25-37, am13. Sonntag nach Trinitatis
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Predigt zu Lukas 10, 25-37, am13. Sonntag nach Trinitatis

Predigt vom 11.09.22 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche

Der Predigttext wurde als Evangelium gelesen: 

Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach:»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?

Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.

Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!

Liebe Gemeinde!

Wer kennt sie nicht, die „Kleine Nachtmusik“ von Mozart? Ich muss nur zwei, drei Takte summen, dann sagen sogar Hartrocker: Ja, das kenn ich! Das ist ein Klassiker! Ein solcher Klassiker ist auch unsere Erzählung vom barmherzigen Samariter. Wir kennen und lieben sie. Unzählige Male wurde sie uns in Kinderstunden erzählt, wir haben sie ausgemalt und nachgespielt.
Und wie das so ist mit klassischen Musikstücken, kennen wir natürlich von unserer Geschichte auch den Schlussakkord, auf den sie zuläuft: Geh und mach’s genauso!
Das ist die Moral von der Geschicht’: Schneid dir von diesem Samariter eine Scheibe ab! Hilf dem Nächsten! Geh nicht achtlos an der Not anderer vorüber!

Der Abschnitt bei Lukas ist Klassiker seit vielen hundert Jahren. Er wurde zum Impulsgeber, wenn es galt, Armen und Kranken zu helfen. Die Orden des Mittelalters mit ihren Spitälern haben sich auf jenen Samariter berufen. Bei uns Evangelischen ist er zur Leitfigur in Diakonissenhäusern und der organisierten Diakonie geworden. Sogar ein Rettungsdienst trägt bis heute den vertrauten Namen: Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Wir kennen die Geschichte in- und auswendig. Doch fürs Verstehen ist ein solches In- und Auswendig-Kennen nicht unbedingt hilfreich. Selbst ein „Ohrwurm“ aus der Bibel kann das Hören auf Gott behindern. Unser Gehör ist auf den Schluss geeicht. Wir hören, was wir hören wollen, und das macht uns für die Feinheiten und Dissonanzen des Abschnitts taub ...
Hüten wir uns, im Kurzschluß auf eine allzu simple Moral zu schließen. Feiern wir den Samariter nicht zu eilig, und machen wir christliche Nächstenliebe nicht vorschnell zur „Hilfe aus Mitleid“. Nehmen wir uns lieber Zeit, nochmal genau hinein zu hören. Vieleicht geht‘s dann gar nicht mehr um einen allzeit bereiten Samariter-Dienst. Ums Helfen bis zum Umfallen. Ja, vielleicht geht es nicht mal darum, was wir tun sollen, sondern vielmehr darum, wer wir sind...
Ein erster fremder Akkord ertönt schon in der Situation, warum Jesus die Geschichte vom Samariter überhaupt erzählt. Die Situation ist so etwas wie die Ouvertüre im Theater, ehe sich der Vorhang hebt. Sie gibt die Tonart an, und in ihr erklingt das Thema, worum es im Stück gleich geht. Die Ouvertüre ist: Ein Schriftgelehrter kommt zu Jesus und spricht ihn auf das Ziel seines Lebens an: „Rabbi, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“
Es ist die Frage nach dem Lebenssinn, die Frage nach der Zukunft über dieses irdische Leben hinaus. Doch wie sich bald zeigt, plagt sich der schriftkundige Mann nicht wirklich damit herum: Er weiß es längst, jat seinen Katechismus gelernt. Doch er fragt vor der Menge, um Jesus vorzuführen.
Jesus kontert den Angriff geschickt mit einer Gegenfrage: „Was steht denn im Gesetz? Was ist das wichtigste?  Was liest Du dort?“ Dem Schriftgelehrten dürfte diese Gegen-Frage wohl  peinlich gewesen sein. Denn wie alle Frommen hatte er das wichtigste Gebot ja ständig bei sich: In kleinen Kapseln hatte er es mit Lederriemen um die Stirn und seine Handgelenke gebunden. Und in den Kapseln stand geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und all deiner Kraft…  Und als Zusammenfassung aller andern Gebote hatten die Pharisäer noch hinzu gesetzt: Und deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst!

Gott lieben und den Mitmenschen – dafür steht auch Jesus. Darin wird ER dem Schriftgelehrten nicht widersprechen. Auch für IHN steht fest: Das Leben eines Menschen kann letztlich nur mit Gott zum Ziel führen. Der Schriftgelehrte muss sich die Antwort auf seine Frage selber geben, und die erste Runde geht damit an Jesus. Aber der Schriftgelehrte gibt noch nicht auf. Mit einer zweiten Frage hakt er nach: Der Nächste – und wer ist das, deiner Meinung nach?  Die Frage klingt in unseren Tagen recht abstrakt. Damals aber wurde sie unter Juden heftig diskutiert: Meine Nächsten – sind das nur die eigenen Verwandten, die Familienangehörigen und Freunde? Oder gehört der unliebsame Nachbar im Dorf und Leute anderer Volksgruppen etwa auch noch dazu? Wenn der Schriftgelehrte Jesus danach fragt, ist das ernst gemeint. Er will Jesu Position in einem kontroversen Thema kennenlernen. Jetzt nimmt auch Jesus den Fragenden ernst, wenn er ihm nach gut rabbinischer Art mit einer Beispielgeschichte antwortet. Eine Geschichte allerdings, die Jesus aus einem ganz bestimmten Blickwinkel erzählt. Und diese Perspektive, wie Jesus erzählt, das ist der zweite schrille Akkord in unserm so bekannten Stück!

Um den fremden Ton etwas deutlicher zum Klingen zu bringen, erzähle ich die Geschichte nochmal ein wenig anders:

Jesus wendet sich dem Fragenden zu, und spricht: „Mein Freund, du kennst doch die Straße von Jerusalem hinab nach Jericho. Du weißt auch, wie kreuzgefährlich die ist. Mit ihren steilen Tälern und Felsklüften ein Eldorado für Banditen. Nicht umsonst heißt sie „Der blutige Weg“. Nun stell dir vor, du musst als Reisender auf dieser Straße hinunter und hast den Anschluß zur Karawane verpasst. Nun musst du alleine laufen. Und es kommt, wie befürchtet: Du wirst überfallen und beraubt, wirst zusammengeschlagen und bleibst halbtot liegen. Du hast schon alle Hoffnung aufgegeben, da kommt ein Priester vorbei. Er kommt vom Dienst am Tempel. Hätte eigentlich Zeit. Er sieht dich und schaut dich auch mit großen Augen an… Doch dann er geht langsam weiter. Du quälst und marterst dich, warum er dir nicht hilft. Da wird dir auf einmal bewusst: Ein Priester darf unter keinen Umständen einen Toten anfassen. Sonst ist er erledigt. Am Tempel und auch zu Hause. Und dir dämmert allmählich, warum er dich hat liegen lassen: Er hat dich offenbar schon abgeschrieben! Ein Häuflein Elend in den letzten Zügen. Schade um jeden Handgriff...
Nach einer Weile, die Sonne brennt unerbittlich, da hörst du wieder Schritte. An der Kleidung erkennst du: ein Levit. Dem Höchsten sei Dank! Der Levit weiß, was zu tun ist, er wird dir helfen! Doch auch er geht - nach kurzem Zögern - vorbei. Nimmt die Beine in die Hand und macht sich aus dem Staub. Und wieder fragst du dich, was ihn geritten hat. Hatte er Angst? Hielt er dein Leiden für eine Falle, einen ausgekochten Trick? Vielleicht markierst du ja nur den Verwundeten, und deine Kumpane fallen über ihn her, sobald er sich über dich beugt?! Aber so ein Unsinn, du bist doch verwundet, du blutest ..
Wieder vergehen Stunden, da hörst du wie aus unendlicher Ferne noch einmal Schritte. Nur verschwommen nimmst du noch wahr: die Umrisse, die Haartracht und die Kleidung. Das ist ein gottverdammter Samariter!  Der hat dir gerade noch gefehlt. Ein Kerl, der keinen Glauben hat. Jedenfalls nicht deinen. Von dem hast du nichts Gutes zu erwarten. Der Hass zwischen denen und euch ist einfach zu groß. Der wird dir noch eins drüber ziehen. Selbst wenn‘ s bei dir nichts mehr zu holen gibt. Doch was ist das: Er beugt sich tief bis in dein Elend hinunter. Spricht dabei kein Wort. Nimmt den Lederbeutel mit dem Wein und spült deine Wunden. Gießt Öl über deine Haut, um deine Schmerzen zu lindern. Bevor es dunkel um dich wird, bemerkst du noch die Wärme des Esels und seine Bewegungen unter deinem Körper, dann wirst du bewusstlos...
Am andern Tag erfährst du vom Wirt einer Herberge, was der verhasste Fremde für dich gatan hat. Er hat dich bis zur nächsten Herberge gebracht, dem Wirt zwei Silberstücke für Essen und das Nötigste gegeben. Wenn es länger dauert, wird er wiederkommen und auch den Rest noch bezahlen. Denn du hattest ja nichts...

Und nun frage ich dich, mein Freund, und ich weiß, die Frage wird dir nicht schmecken: Wer von den Dreien war dir - als du ganz unten warst - der Nächste?“

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Wir ahnen vielleicht, wie sich der so zur Rede Gestellte nach Jesu Beispielgeschichte gefühlt hat. Denn immerhin geschah das vor einer größeren Menge von Leuten. Hat er gestammelt und geschluckt?  Die Antwort: „Der Samariter natürlich, der ist der Nächste!“, die hat er noch nicht über die Lippen gebracht. Stattdessen die stammelnde Antwort: „Na..., der..., der die Barmherzigkeit tat..!“
Nun habe ich die Geschichte etwas anders erzählt, als wir es gewohnt sind. Ich habe erzählt aus  der Perspektive des Zerschlagenen. Denn genau die entdecke ich in Jesu Worten. Der Schlüssel liegt in der abschließenden Frage, die Jesus an den Schriftgelehrten richtet: „Wer ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber fiel?“
Jesus nimmt sein Gegenüber auf einen inneren Weg, auf einen Lernweg mit. Fort von der theoretischen Frage: Wer ist denn - mal bloß so angenommen und im allgemeinen - mein Nächster? Hin zur Frage: Wer ist denn mir, als ich in Not geratenen bin, nah gewesen, zum Nächsten geworden?“ Es ist die Perspektive, die sich ändert. Weg von mir selbst, hin zum andern Menschen. Die Welt mit seinen Augen sehen...
„Nächster sein“ – das ist kein Ausgangspunkt. Es geht nicht um Theorie: Wem muss ich heute noch alles helfen, wenn ich ein guter Mensch sein will? Und lässt sich dieser Kreis vielleicht ein bisschen eingrenzen, damit ich mich nicht übernehme?
„Nächster sein“ - ist ein Beziehungswort. Es geht um Praxis. Der Kreis weitet sich. Deine eigene Erfahrung wird dir zeigen, wer dir in deinem Leben zum Nächsten geworden ist.
Vielleicht wirst Du jetzt erst einmal erschrecken, wie sich die Reihen in deiner Umgebung plötzlich lichten. Dass Leute in deiner Nähe, aus der Familie, dem Freundeskreis gerade dann auf Abstand zu dir gegangen sind, als du sie am meisten brauchtest! Dass dich andere schwer enttäuscht haben, als es dir dreckig ging. So wie der Priester und der Levit in der Geschichte. Es gab Leute, die dich abgeschrieben haben: Da ist eh’ nichts mehr zu machen. Alles nur vergebliche Liebesmüh!
Es gab andere, die dir mit Misstrauen begegnet sind, einen Nachteil befürchtet haben, als du um Hilfe batest: Nein, den lasse ich jetzt nicht zu nah an mich heran. Man weiß ja nie, ob man dabei die gewohnte Freiheit verliert.
Doch gewiss hat es auch noch die anderen gegeben: Einer, der sich Zeit genommen hat weit über das übliche Maß hinaus. Eine, die Worte fand, die deine Seele brauchte. Andere, die an dir festgehalten haben, und die wieder gekommen sind auch nach Wochen noch. Solche Menschen sind dir zum Nächsten geworden! Das halte fest, sagt Jesus. Und vielleicht sind es Leute gewesen, von denen du es vorher nie gedacht hättest. Menschen, die du abgeschrieben hattest, die dir bis dahin völlig gleichgültig waren.

Die Geschichte vom barmherzigen Samariter macht das Gebot der Nächstenliebe verlockend. Es wird zur Einladung, nicht zum Befehl. Denn Jesus erlaubt dir und mir, uns in der Rolle des Notleidenden wieder zu erkennen.  Und wie würde ein Notleidender die Frage nach seinem Nächsten beantworten? Wer Hilfe und Zuwendung erfahren hat, der darf ohne Scheu und mit Dankbarkeit erzählen: Meinen Nächsten kannte ich nicht, jetzt kenne ich ihn! Er war mir fremd und zu nichts verpflichtet. Ich hatte ihm in meinem Elend auch nichts zu bieten. Doch jetzt bin ich ihm von Herzen verbunden. Denn er hat mir geholfen, mich ein Stück getragen.
Der Gerettete liebt seinen Retter. Obwohl er kein Volksgenosse ist. Ja, er hat in dessen Augen nicht mal den richtigen Glauben. Das ist der bewegendste Zug in unserer Geschichte. Ein Fremder wird zum Freund, ein Feind zum geliebten Bruder. Dazu will die Geschichte vom Samariter mich einladen. Das entspricht nicht ganz den Hör-Gewohnheiten bei unserem Klassiker. Doch es entspricht der darunter liegenden Melodie der Liebe Gottes.
Nächstenliebe setzt bei mir selber an. Ich weiß mich geliebt und getragen in meiner Not. Zuallererst von Gott.  Und weil ich bei Gott geliebt, geborgen und bejaht bin, kann ich auch im Fremden, der sich mir zuwendet, die Liebe Gottes entdecken. Ich kann den Harnisch weghängen, das Visier öffnen. Auch im Fremden, der sich mir nähert, den potentiellen Nächsten sehen, der mir in Liebe begegnet.
Dass solches Geliebtwerden nicht tatenlos bleibt, versteht sich von selbst. Wovon ich empfange, davon teile ich aus. Es ist wie beim Atmen. Ich atme ein und atme aus. Wer Gottes Liebe nur in sich einsaugt, der bläht sich auf. Vielleicht hebt er auch ab. Oder er platzt...
Auch das Ausatmen ist nicht endlos möglich. Nur was ich vorher in mir aufgenommen habe, das kann ich austeilen. Irgendwann ist Schluss. So ist es auch mit der Liebe Gottes und der Nächstenliebe. Wir können austeilen, was Gott uns schenkt und müssen uns dabei nicht überfordern.
Das ist es, was christliche Nächstenliebe - Gott sei Dank - zu etwas anderem macht als bloßer „Hilfe aus Mitleid“. Denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Appell an das Mitleid mit dem Elend dieser Welt etwas anderes bewirken kann als ein schlechtes Gewissen.
Dass ich viel Elend sehe und trotzdem vorüber gehe, weiß ich. Und dass Jesus etwas anderes erwarten würde, weiß ich auch, und es macht die Sache nicht besser. Doch wenn ich entdecke, dass Christus mir nahe kommt, und dass ich auch in dem anderen, der mir entgegen geht, diesen Christus entdecke, dann bin ich ganz nah dran an der frohen Botschaft, die in dieser Geschichte liegt. Dann beginnt das gute Wort in meinem Herzen zu wachsen, und ich werde austeilen von seiner Liebe. Die Liebe Gottes ist der Auftakt, sie bringt meine Lebensmelodie in Bewegung und ich darf frei und fröhlich einstimmen.

Amen.

Predigtlied: EG 417 (Lass die Wurzel unsres Handelns Liebe sein)

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