Predigt zum Christfest 2020 „Gott kommt als Kind“
Predigt vom 24.12.20 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche
Vor der Predigt erklingt die Melodie von „Stille Nacht“
danach die Melodie von „Ich steh an dener Krippen hier“
Liebe Gemeinde!
Weihnachten wird der Mund ganz schön voll genommen. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen, was für Begriffe, ja was für steile Themen da beackert werden in den Liedern und Lesungen?
Davids Thron. Die Rettung der Welt.
Licht und Brot für alle. Gerechtigkeit.
Gottlosigkeit hört auf. Menschen kommen zu Verstand, weil Gottes Geist sie berührt. Und Welt-Frieden, endlich.
Große Worte, Themen und Begriffe... Unter dem geht’s nicht ab.
Nehmen wir Christen den Mund da nicht allzu voll? Denn was kommt denn wirklich? Ein Kind! Der Kern der Weihnachtsbotschaft – und vieler ihrer Lieder – ist ein Kind. Wie verzweifelt muss Gott eigentlich sein, um sich für sowas zu entscheiden! ER scheint alles andere schon durchprobiert zu haben: Adam und Eva im Paradies… , Ein Volk und viele andere Völker…, Propheten und Könige…, Männer und Frauen..., Helden und Heerführer…
Mehr Gerechtigkeit, mehr Frieden, mehr Liebe scheint dies alles nicht bewirkt zu haben. Stattdessen mehr Angst, mehr Leid, mehr Rechthaberei. Und dann - ein Kind!?
Wenn ein Kind ankommt, eins so richtig aus Fleisch und Blut, wenn es zur Welt kommt unter Schmerzen, dann krempelt das die Beziehungen in seinem Umfeld ziemlich um. Gewohnheiten und Rhythmen ändern sich auf einen Schlag. Ein Kind schreit, hat Hunger, braucht Wärme und Schutz. Wege und Ziele von Familien ändern sich. Das, was wichtig ist, was zählt. Wie stark ein Kind uns ändern kann, wird Müttern, Vätern, Familien erst später gewahr. Und doch: Als das schafft ein kleines, machtloses, bedürftiges Wesen Kind. Und es geschieht unter dem Gefühl eines großen Glücks. Denn ein Kind bedeutet: Neuanfang. Hoffnung. Zukunft. Sogar dort, wo es kein Wunschkind ist. Wo Schwierigkeiten und Sorgen sich ohne Frage bald einstellen werden.
Nicht anders war's bei Maria und Joseph, den Umständen der Geburt in Bethlehem und der darauf folgenden überstürzten Flucht. So einen Weg wählt Gott. Und stellt damit eine Menge auf den Kopf! Gott mach sich ganz klein. So klein, dass er in meine Arme passt. So verletzlich, dass ich ihn schützen, wärmen muss. So kommt ER dir und mir entgegen.
Man hat immer wieder versucht, Gott wieder hoch zu rücken in den Himmel. Ihn samt Maria auf den Sockel zu stellen. Damit er uns hier unten nicht zu nahe kommt. Weihnachten durchkreuzt diese Versuche. Es ist das rebellischste Fest, das ich kenne. Ein Jahrestag der Revolution Gottes gegen die Zustände, die wir geschaffen haben. Alle Jahre wieder: Gott kommt runter. Aus dem Himmel auf die Erde. Und ER kommt allein.
„Heut' schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis.
Der Cherub steht nicht mehr davor, Gott sei Lob Ehr und Preis.“,
heißt es im Wochenlied zum Christfest, das wir heut' singen würden, wenn wir singen könnten.
Es ist also nicht mehr unser Problem, wie wir hinein kommen in das Paradies. Es ist Gottes Problem, wie er hinaus geht. Heraus aus dem Paradies, draußen vor die Tür. Um uns heim zu holen, geht er selber vor die Tür! Der Schlüssel ist Christus. Geboren als hilfloses Kind. Sein Weg führt nicht hoch hinaus, wie wir's uns für unsre Kinder wünschen. Dieses Kind - wenn es heranwächst - zieht es hinunter in die Niederungen menschlichen Leides. Dahin, wo Krankheit, Not und Tod den Takt vorgeben. Da will Gott hin. Dort will er sich schenken.
Und die Hirten sind nach Maria die ersten, an die sich Gott wendet. Ausgegrenzte Tagelöhner, halbgewalktes Lumpenpack. Leute, die nicht mal zum Gottesdienst im Tempel zugelassen waren! Und die können's selber kaum glauben, dass sie wirklich von Gott gemeint sind. Dass ER auf sie zugeht. Sich ihnen schenkt. Und eine ganze Schar von Engeln ist nötig, um sie zur Krippe zu bewegen. Die Hirten von Bethlehem geben mir so eine Idee, wo ich Gott in unsern Tagen finden kann. Die Konsumtempel in den Citylagen - wenn sie offen wären - sind es nicht. Auch nicht die glitzernden Weihnachts-Shows, mit denen die TV-Sender werben, um die Massen halbwegs bei Laune zu halten und über die Feiertage zu bringen. Aber das wissen und spüren wir ja längst.
Ich weiß diesen verletzlichen liebenden Gott heute ganz nah bei den Opfern der Anschläge von Wien, Hanau und Trier. Bei den Verletzten und ihren verstörten Familien. Ich weiß IHN bei den bedrängten Christen in Syrien und Ägypten, für die Weihnachten immer gefährlich ist. Auch bei Flüchtenden in Schiffen auf dem Mittelmeer und in überfüllten Lagen, die es ja weiter gibt, auch wenn derzeit keiner darüber berichtet...
Dieser verletzliche, liebende Gott ist gerade unabkömmlich auf Pflegestationen, in Krankenhäusern und Heimen, in den Sterbezimmern der Hospize. Bei all jenen, die einsam auf einen Mitmenschen warten. Bei all denen, die am Leid dieser Welt tragen, verzweifeln und sich plagen. All jene sind bei unserm kleinen Gott von Bethlehem – beim Kind in der Krippe – in guter Gesellschaft.
Heute, so behaupten alle Weihnachtslieder, immer heute - und nicht irgendwann - wird er geboren. In dir, bei dir, neben dir.
Ob ein fremd gewordener Schicksals-Gott dich übers Jahr wird tragen können, weiß ich nicht. Ob und wie er unsere verunsicherte und verstörte, auch tief gespaltete Gesellschaft tragen wird, auch das weiß ich nicht. Aber dass ER uns, dich und mich, auch dieses so andere Weihnachten tragen wird - da bin ich ganz gewiss. Heute trägt dieses Menschenkind Jesus, dieser klein gewordene Gott, dich und mich. Meine Hoffnungen und Wünsche. Auch unsere Sehnsucht. Ich will ihn entdecken, ihn fest an mich drücken, an mein Herz, und ihn dort halten und bewahren, solange es geht. Weil ich mich so geborgen fühle. Sicher. Getröstet. Selbst im größten Leid. Heute, heute schließt er für dich auf. Ein warmes Licht scheint dir von der Krippe entgegen. Und du sollst davon aufnehmen und mit nach Hause nehmen, so viel du davon kriegen kannst.
Amen.
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