Predigt zum Passionslied EG 91 „Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken...“ Gellert-Predigtreihe, Palmarum 2019
Predigt vom 14.04.19 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Der Herr segne an uns sein Wort!
Liebe Gemeinde!
Die Menge jubelt. Jesus zieht in Jerusalem ein. Man bereitet dem Mann aus Galiläa einen grandiosen Empfang. Läuft ihm entgegen, wirft sogar Palmenzweige hin. Als sei' s ein großer König. Der Evangelist Johannes jedoch dämpft die Stimmung: Da versteht keiner. Nicht einmal die Jünger. Die Menge läuft ihm nur entgegen, weil sie das Gerücht vernommen hatten, der Wanderprediger habe Lazarus vom Tode auferweckt. Wenn diese Neuigkeit vorbei ist, wenn es hart auf hart kommt, wird die jolende Menge zum gelenkten Pöbel werden, der spottet, der spuckt und schlägt. Vom „Hosianna“ bis zum „Kreuziget ihn!“ sind es nur drei Tage. Wenn Jesus erst am Kreuz hängt, hat die Menge sich längst verlaufen. Einer, der dabei bleiben will, der nachsinnen will, was es um das Geheinis dieses Weges auf hat, ist Christian Fürchtegott Gellert. In seinem Passionslied „Herr stärke mich, dein Leiden zu bedenken...“ führt er uns bis ans Kreuz. Und dort verweilt er, schaut und schweigt, und dann buchstabiert er durch, was es bedeutet, dass Jesus den steinigen Weg nach Jerusalem geht, durch Spott und Schande, bis hinauf nach Golgatha.
Wer ist dieser Mensch Gellert, dass es ihn ans Kreuz treibt und dort hält? 1715 wird Christian Fürchtegott Gellert im erzgebirgschen Hainichen geboren. Als Pfarrerskind. Als neuntes von 13 Kindern lebt er in ärmlichen Verhältnissen und lernt sich mit Wenigem zu begnügen. Mit elf Jahren schreibt er für etwas Geld Gerichtsakten ab und trägt so zum Lebensunterhalt der Familie bei. Die künstlerische Ader hat er wohl vom Vater, der seinem Sohn das Dichten und das Reimen beibringt. Der Junge ist talentiert. Ein Stipendium an der Fürstenschule in Meißen soll ihn aufs Studium vorbereiten. Der geistliche Beruf scheint vorgezeichnet. Doch dann der Rückschlag. Als Jugendlicher soll er am Grabe seines Patenkindes die Leichenrede halten. Er bleibt hängen, ihm fehlen die Worte, verzweifelt sucht er im Manuskript. Ein Blackout mit Folgen: Schmerzhaft erkennt er, dass dieser Beruf für ihn nicht in Frage kommt. 4 Jahre studiert er in Leipzig, dann muss er aus Geldmangel unterbrechen. Er verdingt sich als Hauslehrer in Dresden, dann schließt er sein Studium ab. Er promoviert über die Theorie und Geschichte der Fabel. Und schreibt dann selbst erfolgreich: Fabeln, Erzählungen, Stücke, die ihn im gebildeten Europa bekannt machen. 1751 wird er in Leipzig zum außerordentlichen Professor für Philosophie ernannt. Er lehrt vor großer Hörerschaft Poesie und Rhetorik, schließlich auch Ethik. Als Student ist der junge Goethe vom Dichter-Professor begeistert. Er schreibt über ihn in „Dichtung und Wahrheit“: „Gellert ist das Fundament der sittlichen Kultur der Deutschen, an Gellert, die Tugend und die Religion zu glauben ist bei unserem Publico beinahe Eines.“ 1757 erscheint Gellerts Band „Geistliche Oden und Lieder“. 54 geistliche Gesänge, auch sie werden in etliche Sprachen übersetzt. Haydn und Beethofen werden Texte davon vertonen. 6 Lieder haben es in unser Evangelisches Gesangbuch geschafft, werden sogar öfter gesungen: Das Morgenlied „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank“ zum Beispiel. „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“ an Weihnachten. „Wenn ich o Schöpfer, deine Macht.“ zu Erntedank. Sein Freund und Biograph Johann Cramer bezeugt, dieser Lied-Band sei Gellert der wichtigste und persönlichste gewesen.
Wir sind also nah dran an dem Menschen Christian Fürchtegott Gellert mit unserem Passionslied. Lassen Sie uns davon singen:
EG 91, zunächst Strophen 1-3
10 Strophen sind in unserem Gesangbuch abgedruckt. Immerhin, im alten EKG waren es nur 8. Im Original sind es allerdings 22 Strophen. Ich habe Ihnen alle 22 Strophen einmal ausgedruckt und als Kopie am Eingang ausgegeben.
Nun kann man sagen: Gott sei Dank, wer soll denn 22 von solchen Strophen singen? Da reichen doch vier bis fünf … Gellert freilich hatte es anders intendiert. Er schreibt natürlich nicht barock-schwülstig um der Länge willen. Gellert verdichtet, fasst zusammen: die Kernsätze evangelischer Theologie. Er komprimiert auf 3 x 7 Strophen, wobei die erste Strophe wie eine Überschrift wirkt. Und 1 plus 3 x 7 macht 22. Am Ende ist es sogar sprachlich schön, prägt sich ein und lässt sich singen. Das kann nicht jede Dogmatik von sich behaupten.
Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken… beginnt die Überschrift: Christlicher Glaube braucht Kraft. Den kannst du nicht abhaken. Denn er ist eine Zumutung!
Schon damals, für aufgeklärte und wissenschaftsgläubige Geister, die Gellert im Universitätsbetrieb begegnen. Bei Kollegen und Studenten. Bei denen ist Gott ist alles andere als „inn“. Seine Existenz wird zunehmend bestritten, die Religion auf ihren praktischen Nutzen reduziert. Glaube kostet Kraft, sagt Gellert. Erbitte sie von Gott!
Mich in das Meer der Liebe zu versenken…
Ja, auch das führt weiter. Der lutherische Gellert erweist sich als ausgesprochener Kenner der literarischen Szene, denn er nimmt mit dieser Zeile Gedanken seines reformierten Dichterkollegen Gerhard Tersteegen auf: Auch der Weg der Mystik führt zu Gott, der in seinem Wesen Liebe ist. Und die 3. Zeile der Überschrift zitiert Luthers Erklärung zum Glaubensbekenntnis. Der Zweck des Weges Jesu – nach Jerusalem ans Kreuz - ist unsere Erlösung. Nicht bloß ein edler Mensch, kein Held im Muster antiker Tragödien. Es geht um alles. Dich und mich. Unsere Schuld.
Die zweite Strophe, die wir gesungen haben, nimmt den Christus-Hymnus auf, den wir vorhin in der Lesung gehört haben:
ER, der in göttlicher Gestalt war, entäußerte sich selbst, … ward uns Menschen gleich… erniedrigte sich selbst … bis hin zum Tod am Kreuz… so heißt es im Philipperbrief.
Um dann in Strophe 3 eine aufregende Wendung zu nehmen! Hin zur Theologie der Kichenväter: Welch wunderbar hochheilges Geschäfte…
Das admirabile Commercium, wie es bei den Vätern heißt, und auch Luther in seinen Predigten immer wieder rezipiert: Das wundersame Tauschgeschäft: Gott nimmt unsere Last, stirbt unsern Tod, und gibt uns dafür seine Herrlichkeit, seine Ehre, ewiges Leben. Wer das durchdenkt, sich so dem Geheimnis der Menschwerdung nähert, der kann nur noch erschauern.
Lassen Sie uns jetzt in der Stille jeder für sich die Strophen 4 und 6 im Gesangbuch lesen. Und ich bitte unseren Kantor, dass er uns dazu noch einmal zart und einfach die Choralmelodie auf der Orgel spielt.
Stille / Orgel spielt die Choralmelodie
Mit den Strophen 4 und 6 sind wir ganz bei Paulus. Gellert stellt uns hier Gedanken aus dem Galaterbrief und dem Römerbrief vor Augen. Gott ist gerecht…
Das Kreuz schlägt meinen Stolz darnieder...
Aus Feinden Gottes werden Gottes Freunde…
Sicher wundern Sie sich, warum ich die Strophe 5 im Gesangbuch ausgelassen habe. Natürlich gibt auch sie einen Gedanken von Paulus wieder.
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft. So heißt es im 1. Korintherbrief.
Die 5. Strophe bei uns steht in Gellerts Original abe erst als Strophe 20 und entfaltet dort eine ganz andere Perspektive. Im Original folgt bei ihm:
O Herr, mein Heil, an dessen Blut ich glaube,
ich liege hier vor dir gebückt im Staube,
verliere mich mit dankendem Gemüte
in deiner Güte.
Das war den Herausgebern vom Gesangbuch wohl zu heftig. So etwas hört man heut nicht gern: Blut an das ich glaube, als Opfergabe, als Lösegeld für viele. Doch nicht minder biblisch, und ein vertrauter Glaubensgrund der Kirche. So umschreitet Gellert im ersten Drittel seines Liedes die Gottesfrage. Und er gibt Antwort: Wie ist das mit Gott und mit Christus? Wie ist das mit deinem und meinem Heil? Wie kommt Gott zu mir, und ich in ihn? Und es gelingt dem Dicher-Philosophen offenbar, in glaubenskritischer Zeit Antworten zu geben, die angenommen, landauf landab sogar gesungen werden. Friedrich der Große lädt den Dichter zu sich ein und nennt ihn den vernünftigsten aller deutschen Gelehrten. Und ein schlichter Bauer, der seine Lieder verehrt, schenkt ihm ein Fuder Brennholz für den Winter. Ein Glücksfall. Eine Sternstunde in der Kirche. Milieu-übergreifender Glaube, würden wir heute sagen. Glaube, der anschlussfähig ist der Lebenssituation ganz verschiedener Menschen und Gruppen. Ich darf mich zusammen mit anderen hineinstellen in ein gutes Wort, kann mitsingen, mitloben, mitstaunen. Am Ende steht der Gott dankende Mensch. Von der mittleren Spalte auf Ihren Blättern sind nur 2 Strophen ins Gesangbuch gekommen. Lasst uns diese beiden jetzt miteinander singen.
Im Evangelischen Gesangbuch die Strophe 7 und 8.
Jetzt hat der Professor für Ethik und Moral zu uns gesprochen: Da du dich selbst für mich dahingegeben, wie könnt ich noch nach meinem Willen leben? Im Mittelteil – dem 2.Drittel - entfaltet Gellert seine Ethik. Doch alle Ethik beginnt für ihn mit dem Gebet.
Lass deinen Geist mich stets, mein Heiland, lehren.
Dein göttlich Kreuz im Glauben zu verehren.
Dass ich, getreu in dem Beruf der Liebe,
mich christlich übe.
Ein Christenmensch versucht, seinem Herrn und Heiland zu entsprechen. Das gilt bis heute. Gelassen zu werden, einen langen Atem zu bewahren. Nicht dem Hass das Wort zu reden. Sich für Gutes einzusetzen und das Böse zu meiden ist nie einfach. Und es muss in einer zersplitterten Welt auch nicht populär und logisch sein. Der Tugendlehrer Gellert weiß um die harte Arbeit, um die Schwere der Worte Treue und Pflicht. Es bleibt eine ständige Übung, der sich jeder Christ/ jede Christin immer wieder stellen muss. Und so schließt er seine ethischen Gedanken, wo es um die Christusnachfolge geht, in Strophe 15 im Oiginal mit einem Pauluswort ab:
Gott gibt die Kraft, in deinem Namen, dich nachzuahmen.
Folgt, ja immitiert diesen Jesus nach! ER wird eurem Glauben kein erdrückendes, nie zu erreichendes Vorbild sein, sondern will euch locken, seinem Beispiel zu folgen. Auch vom letzten Drittel von Gellerts Lied hat das Gesangbuch zwei Strophen ausgewählt. Freilich ist dies für Gellerts Gedankenkreis sehr verkürzt.
Unendlich Glück. Du littest uns zugute…
Im letzten Drittel zieht Gellert nun die Konsequenzen. Was es heißt, an diesen Gott zu glauben, diesem Christus im Leben grundsätzlich wie praktisch zu folgen. Was sich als erstes einstellt, das weiß der lutherische Theologe Gellert nur zu gut, sind Anfechtungen.
Lockt böse Lust mein Herz mit ihrem Reize…, heißt es da.
Auch Christenmenschen sind versucht. Zurück zu fallen. Aufzugeben. Christus nicht mehr zu vertrauen. Wie weiß ich dann, dass es gut mit mir wird? Woher schöpfe ich Gewissheit? Wie wird’s mit dem Himmel, bin ich drin?
Strophe 18 im Original gibt Antwort:
Ja, wenn ich stets der Tugend Pfad betrete,
im Glauben kämpf, im Glauben wach und bete:
so ist mein Heil schon so gewiß erstrebet,
als Jesus lebet.
Auch hier führt uns Gellert noch einmal ganz nah an Jesus heran. In den Garten Getsemane, als der Gottessohn selber um den Weg für sich ringt. Ich verstehe diese Strophe für mich so: Es mag sein, dass ich schwach werde, auch dass ich scheitere. Der richtige Weg wird deshalb täglich neu betreten. Fallen ist nicht schlimm. Liegenblieben schon. Dranbleiben, aufstehen, weitergehen, darum geht’s. Durch den Alltag und auch Dunkel hindurch. So wird es Ostern. So gewiss als Jesus lebet.
Erstaunlich ist dann der Schluss, in den das Gellert-Lied am Ende mündet. Und erst hier, auf Platz 20, entdecken wir jene Strophe, die in unsern Gesangbüchern an 5.Stelle steht:
Seh ich dein Kreuz den Klugen dieser Erden
ein Ärgernis und eine Torheit werden...
Gellert blickt auf sein Umfeld, auf die Bildungsschicht seiner Stadt, die Kollegen an den Lehrstühlen seiner Universität, die Studentenschaft. Und tritt betend für sie ein.
Gott eile nicht, sie rächend zu zerschmettern. Erbarme dich.
Da ringt einer um seine Mitmenschen. Bleibt an ihnen dran. Keiner ist von Grund auf abgeschrieben. Hinwendung zu Gott ist möglich. Das will ich festhalten: für uns und für unsere glaubenskritischen,gottvergessenen und vielleicht doch suchenden Zeitgenossen. Behalten wir die im Blick, wenn wie eine (noch) große, starke Kirchgemeinde sind? Oder sind wir uns selber genug? Ringen wir darum, anschlussfähig zu bleiben, damit andere nachvollziehen, verstehen, wenigstens mitsingen können, woran wir glauben? Gellert hat sich darum zeitlebens bemüht. In seiner Sprache, mit seiner Dichtkunst und in seiner Profession. In seinen letzten Lebensjahren hatte er viel an körperlichen Gebrechen zu tragen. Wenige Tage vor seinem Tod hat er gegenüber seinem Freunde gesagt: „Ich kann nicht mehr viel fassen, aber rufen sie mir nur den Namen meines Erlösers zu, wenn ich den nenne und rufe, so fühle ich neue Kraft und Freudigkeit in mir.“ Das schlichte Jesus-Gebet: Den Namen des Erlösers rufen. Gellert bleibt bei dem, was er seinen Lesern und Leserinnen vor Augen stellt: Christus am Kreuz. Da will er bleiben. Das schenkt ihm Ruhe, Freude und tiefen Frieden. Amen.
Wir singen miteinander die Strophen 9 und 10 aus dem Gesangbuch.
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