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Predigt am Sonntag Judica mit Vorstellung des neuen Buches über die Epitaphien der Kirche
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Predigt am Sonntag Judica mit Vorstellung des neuen Buches über die Epitaphien der Kirche

Predigt vom 03.04.22 (Pfarrer Dr. Arndt Haubold) Ort: Martin-Luther-Kirche

Liebe Gemeinde,

wenn ein neues Buch in einem Gottesdienst vorgestellt oder gar eingeführt wird, handelt es sich in der Regel um ein heiliges Buch – eine neue Bibelübersetzung, ein neues Kirchengesangbuch, ein neues Lektionar mit den gottesdienstlichen Bibellesungen oder ein neues Gottesdienstbuch. Als ich 1994 hier meinen Dienst begann, wurde gerade das neue Gesangbuch eingeführt, und wir trugen es feierlich auf einem roten Samtkissen zum Altar. Was wir heute vorstellen, ist kein heiliges Buch, deshalb wird es auch nicht mit Gebet und Segen eingeführt. Und doch ist es ein Buch voll von heiligen Bezügen! Es hat fast so lange gedauert wie eine neue Bibelübersetzung – von den ersten studentischen Vorübungen bis zum Erscheinen im Druck ein ganzes Jahrzehnt! Sein Inhalt ist voller biblischer Bezüge. Auf den Epitaphien, auf den Glocken, auf den heiligen Geräten für Taufe und Abendmahl prangen in großer Zahl biblische Worte oder Bilder.

„Wenn Steine reden könnten…“ ist eine beliebte Redensart, die zum Titel zahlreicher Bücher und Filme geworden ist. O ja, Steine können reden! Wir müssen nur ihre Sprache erlernen, wie wir die Sprache der Vögel oder der Blumen erlernen müssen. Sie erzählen uns von längst vergangenen Zeiten, aber auch von uns selbst – denn Menschen haben den Steinen ja eine Botschaft eingehauen. Es geht in diesem Buch allerdings nicht nur um Steine, sondern auch um Holz und Marmor, um Silber, Bronze und Zinn – um scheinbar leblose Materie, der wir Leben entlocken. Es sind alles Kunstwerke, von Künstlern, Handwerkern und geistigen Schöpfern geschaffen. Von Epitaphien reden wir – was sind diese? Es sind keine Grabsteine, sondern „Grabzubehör“ , so könnten wir übersetzen - Gedenkmale an Verstorbene, die an den Wänden der Kirche aufgestellt sind – meist aber nicht an der Stelle, wo sich das Grab befindet.

Lassen wir uns nun auf eine Zwiesprache mit diesen Kunstwerken ein! Welche Botschaften bringen sie aus alten und neueren Zeiten zu uns herüber? Pfarrer Bohne hat in seinem Vorwort für das Buch fünf Botschaften der Steine entdeckt, an die ich gern anknüpfen möchte:

Die erste Botschaft: Auch Steine sind vergänglich. Sie wirken so, als wären sie für die Ewigkeit gemacht. Aber der Zahn der Zeit nagt auch an den ägyptischen Pyramiden, an den mittealterlichen Domen und an den Epitaphien an unserer Kirche. Entweder lassen wir sie einen langsamen Tod sterben, oder wir müssen sie immer wieder heilen und pflegen. Beides ist an unserer Kirche durch die Jahrhunderte geschehen. Das älteste und in dieser Hinsicht wertvollste Epitaph des Hans von Gehofen in der Südloge wurde beim Kirchenneubau 1717 einfach als Treppenwange am Aufgang zur Empore verbaut, und weil es nicht ganz passte, wurde eine Ecke herausgesägt. Bei dem prachtvollen Totenschild Otto von Dieskaus im Vorraum sind beim Umhängen einfach mal ein paar Wappen abgebrochen und nicht wieder angeleimt worden. Mehrere Epitaphien standen jahrhundertelang ungeschützt an der Kirchenwand draußen im Regen, und keiner störte sich daran, dass sie immer unleserlicher wurden und zerbröckelten. Vergängliche Steine! Und auch die scheinbar schweren und festen Glocken auf dem Kirchturm haben im Laufe der Jahrhunderte viele Beschädigungen erfahren: Immer wieder erhielten sie Sprünge, mussten umgegossen werden wurden für den Krieg eingezogen und eingeschmolzen. Abendmahls- und Taufgeräte wurden verbeult. Vergänglichkeit auch hier. Die Botschaft: Nichts auf dieser Welt ist von Dauer – wenn wir es nicht schützen und bewahren und uns damit Schätze erhalten. Unvergänglich allein ist Gott, auf den diese vergänglichen Schätze uns hinweisen. Sie sind somit Wegweiser zu Gott!

Die zweite Botschaft: Unverkrampft mit dem Tod umzugehen! Die Denkmäler an und in dieser Kirche erinnern uns bei jedem Besuch an unsere Sterblichkeit. Wir nehmen das gar nicht mehr wahr. Wir gehen achtlos an diesen Steinen vorüber. Wie wir im Alltag nicht ans Sterben erinnert werden wollen. Unsere moderne Welt versteht die Kunst, den Tod zu verdrängen und uns nur auf das Leben zu fixieren: Kaufe! Genieße! Habe Spaß! Entwickle dich! Und doch rufen die Epitaphien uns etwas anderes zu: Bedenke, Mensch, dass du sterben musst! Das soll uns nicht die Lebensfreude verderben, sondern sie verinnerlichen und vertiefen. Die Genüsse des Lebens sind Gottesgaben. Wir sollen Gott dafür täglich dankbar sein, aber wir sollen sie nicht über uns herrschen lassen. Denn auch Mitgefühl und Trauer und Verzicht gehören ins Leben, nicht nur Spaß. Die Botschaft der Epitaphien mit ihrem „Gedenke deiner Sterblichkeit“ ist auch ein Appell zu einem unverkrampften Umgang mit dem Tod. Totenschädel schauen uns an. Gräber umgeben uns. Sie sind ein Stück Alltag. Die Denkmale sprechen: Der Tod gehört zu unserem Leben hinzu. Nimm ihn an als einen Teil des Lebens – der Tod führt uns ja nicht von Gott weg, sondern zu ihm hin!

Die dritte Botschaft: Die Epitaphien sind Glaubenszeugnisse. Wir haben vor der Predigt als erste biblische Lesung eine Zusammenstellung der Bibelworte auf unseren Kunstwerken gehört. Die Gestaltung des Begräbnisses, des Grabmals oder der Erinnerungsmale sind immer Glaubensbotschaften. Wie diese Altvorderen sollten auch wir bei unserem Heimgang auf angemessene Weise Glaubenszeichen setzen und nicht spurlos verschwinden.

Die vierte Botschaft: Die Epitaphien erzählen von Krieg und Frieden. In den letzten Wochen ist der Krieg wieder in unsere Gegenwart zurückgekehrt. Lange glaubten wir, er gehöre nicht mehr in unsere moderne Zeit in Europa. Noch hoffen wir, er lässt sich eingrenzen und bald beenden und kommt nicht an unsere Türen. Aber wir spüren schon seine Folgen: Ängste, Teuerung, Notlagen, Gewalt, Flüchtlingsströme. Die Epitaphien und Kunstwerke erzählen von solchen Ereignissen aus alter Zeit. Manche Dargestellten tragen Kriegsrüstung und sind in den Krieg gezogen gegen die Osmanen, in den 30-jährigen Krieg, den 7-jährigen Krieg, die Völkerschlacht bei Leipzig, den Deutsch-Französischen Krieg, die beiden Weltkriege – sie alle haben hier ihre Spuren hier hinterlassen. Manche hat man später zu beseitigen versucht wie die Tafeln mit den Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Jemand hat ihre Modelle doch in der Kirche verstecken und damit retten können. Die meisten der alten Glocken gingen für immer im Krieg verloren. - Keineswegs verherrlichen wir damit den Krieg, er ist ein Instrument des Teufels und eine extreme Sünde. Aber wir gedenken unserer Verstrickung in Sünde und unserer Verführbarkeit und Ohnmacht, wenn wir hier an den Krieg erinnert werden.

Die fünfte Botschaft: Epitaphien prägen unsere Erinnerungskultur. Natürlich waren es die Denkmale der vermögenden Bewohner unseres Ortes, die wir heute noch stehen haben: Denkmale von Patronatsherren und Kaufleuten. Auch von Pfarrern, obwohl diese gar nicht immer vermögend waren, aber ihr Dienst an der Kirche und die Dankbarkeit der Gemeinde gaben den Ausschlag. Von den kleinen Bauern und Handwerkern des Ortes haben wir keine Epitaphien. Und doch sind in den Kirchenbüchern auch ihrer aller Namen eingetragen, auch sie sind nicht vergessen. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jes. 43,1) spricht Gott durch den Profeten Jesaja zu uns. Vor Gott gibt es keine Anonymität, da hat jeder seinen Namen als Zeichen seiner Individualität. Die Epitaphien halten solche einzelnen Namen wach als Beispiele für all die anderen. Sie erzählen uns aus deren Leben, wie Briefe aus alter Zeit, die wir auf dem Dachboden entdecken. Welche spannenden Wege gab es, die hier von Gautzsch durch halb Europa führten – in einem Falle nach Venedig und Kopenhagen, Amsterdam, Warschau und Paris! Im anderen Falle ein kleines Kind, dessen Leben noch gar nicht zur Entfaltung kommen konnte. Vom Ruhm so großer Namen wie die von Dieskau oder von Manteuffel oder die Riquets oder die Kees fällt auch etwas Glanz auf unsere Gemeinde, deren Glieder sie ja waren und sind. Sollten wir nicht auch nach dem Tod lieber Spuren unseres Lebens hinterlassen, und wenn es nur für 20 Jahre wäre, statt unsere Spuren zu verwischen im Wald oder auf See? Auch im Gemeinschaftsgrab auf unserem Friedhof wird wenigstens der Name bewahrt. All die Namen auf den Friedhöfen und hier an und in unserer Kirche erinnern uns an die große Gemeinschaft der Heiligen nach evangelischen Verständnis. Die Heiligen sind danach nicht nur die Vorbilder und Helden des Glaubens, sondern es sind die Getauften und Sünder zugleich! Und deren keiner geht verloren, auch wenn sie jetzt bei Gott ruhen. Die Toten bilden mit uns Lebenden gemeinsam die Gemeinde. Die Verstorbenen sind mit ihrem Tod nicht ausgestoßen aus der Gemeinde und nicht vergessen. Deshalb kann man nie sagen: Die Gemeinde wird kleiner. Sie wird immer größer, nur manchmal wächst sie langsamer. Wir sind eine Gemeinde der Lebenden und Toten, und die Epitaphien erinnern uns daran.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

 

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Pfarrer Dr. Arndt Haubold
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