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Predigt zu Joh. 5, 39-47, 1. Sonntag nach Trinitatis
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Predigt zu Joh. 5, 39-47, 1. Sonntag nach Trinitatis

Predigt vom 23.06.19 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Lasst uns in der Stille beten!

Der Herr segne an uns sein Wort!

Liebe Gemeinde!

Ich stehe auf dem Hauptbahnhof und warte auf meine S-Bahn. Der Bahnsteig ist gut gefüllt. Wer nicht auf sein Smartphone guckt, schaut auf die übergroßen Info-Screens hinterm Gleis an der Wand. Darüber flimmert Werbung: VAPORUPP lese ich als Slogan auf grünem Grund. DAZN auf dem nächsten, diesmal tief-blau. Schließlich –- MATE 20 HUAWEI. Drei Worte wie ein Mantra auf rotem Grund. Was soll da eigentlich verkauft werden, frage ich mich. Ich weiß es nicht. Ist die Werbebranche verrückt? Oder bin ich bloß zu alt? Wird das beworbene Produkt gar nicht mehr gezeigt? Stattdessen nur Kürzel, Begriffe. Wie fremde Vokabeln, deren Bedeutung ich nicht kenne. Und doch muss es für Leute bestimmt sein. Eine Ahnung, um was es da geht, die hätte ich, wenn ich zur Zielgruppe gehörte. Wenn du da drin bist, dann weißt du Bescheid. Die junge Mutter, die ihrem Spössling die Erkältung lindert, kann mit Vaporupp was anfangen. Der Sofa-Fußballer würde im zweiten Kürzel (DAZN) eine Quelle erstklassiger Spiele für daheim erkennen. Und der „digital native“ im geheimnisvollen Mantra MATE 20 HUAWEI die Spur fürs neuste Smatphone mit Spitzen-Kamera. Doch dafür musst du eben drin sein, musst dazugehören! Sonst kannst du's nicht verstehen. Dann bleibt es für dich fach-chinesisch, fremd, wie vom andern Stern.

So ähnlich mag es den Hörern unseres Predigtwortes ergangen sein. Damals, zur Zeit des Evangelisten Johannes, als man sein Evangelium in der Gemeinde las. Wenn wir es jetzt hören, klingt auch für uns vieles fremd.

Lesung Predigttex Joh 5, 39-47

Harte Worte sind das. Jesus befindet sich in handfestem Streit: Worum es geht, woran er sich entzündete, können wir in den Versen davor nachlesen. Da gibt es Leute, schreibt Johannes, die scheinen gut zu verstehen. Und andere eben nicht. Pech für die letzten. Dann sind sie halt draußen. Ich glaube allerdings nicht, dass die Juden, von denen da erzählt wird, noch mit dabeigestanden und sich geärgert haben. Der Abschnitt wird ja in einer Gemeinde gelesen. Dass Jesus durch die Lande zog, sein Kreuz und seine Auferstehung, das liegt Jahrzehnte zurück. Inzwischen gibt es Gemeinden, die in seiner Nachfolge leben, und die den auferstandenen Christus an ihrer Seite wissen. Wie hat eine solche Gemeinde unser Predigtwort wohl aufgenommen? Da gibt es - wie überall - die Bewährten. Sie lieben den Gottsdienst und kennen sich aus in dessen Sprache. „Ich bin der gute Hirte, der wahre Weinstock, das wahre Brot.“ - bei Sätzen wie diesen geht ihnen das Herz auf. Sie haben bei „Ehre des Vaters“ und „ewiges Leben“ sicher heftig genickt. Ihnen fällt nicht schwer, das zu verstehen. Sie sind ja schon lange dabei, gehören dazu. Doch in jeder Gemeinde gibt es auch die anderen. Leute, die sich nicht so gut auskennen. Die sich erst vor ein, zwei Jahren haben taufen lassen, denen die frommen Begriffe der andern noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen sind. Sie haben sich in den gescholtenen Juden vielleicht ein Stück wiedererkannt und die anderen zaghaft gefragt, ob sie schon immer so klar gesehen haben. Oder ob das eine Weile gedauert hat, bis auch sie verstanden hatten, wer und was Christus für sie ist. Wenn Sie selbst in der Erinnerung zurückgehen - wie sind Sie eigentlich dazu gekommen? Ich meine dabei weniger die Kirchenmitgliedschaft, über Taufe und Konfrmation. Wie war das bei Ihnen, als Sie verstanden haben, worum es beim Glauben geht? Wie war das, als „der Groschen fiel“? Bei wenigen Menschen ist das ein konkretes Ereignis gewesen, das sie benennen können: „Genau damals, bei der und der Gelegenheit, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ab da habe ich verstanden…“ Wenn es bei Ihnen so war, dann seien Sie froh. Bei den meisten hat es Zeit gebraucht. Manchmal über Jahre. Von solchen Menschen möchte ich Ihnen erzählen.

Mein erstes Beispiel ist aus der Literatur, und ich verdanke den Tipp einer sehr nüchternen Kieler Professorin, die in einem Aufbaukurs für junge Pfarrer einen Workshop über Spiritualität gegeben hat. Kann man so was lernen? Ja, sagte sie. Lesen Sie „Ein russisches Pilgerleben“. Weil das Buch zu den Klassikern gehört, stand es im Internet, und ich habe es mir ausgedruckt. Darin erzählt ein Bauer, wie er über die Frage nach dem Beten seinen Weg zum Glauben findet. „Betet ohne Unterlass!“, hatte er bei einer Lesung im Gottesdienst gehört. Doch wie soll das gehen? Darüber zermartert er sich den Kopf. Nachden er all seine Habe verloren hat, wandert er als Tagelöhner umher, sucht bei Gebildeten, Eremiten und in Klöstern Rat, bis ihn ein frommer Einsiedler auf das Herzensgebet der alten Väter weist.

(Jesu Christou – Houios Theou – eleeson mou) „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarm dich mein.“ Darin soll er sich üben. Nicht nur dreimal, zehnmal, zwanzig mal. Sondern tausend mal. So ofter kann. Und das tut er, bei der Arbeit, beim Gehen, wenn er frei hat. Und kommt nach wenigen Tagen auf 3.000mal, 6.000mal. Genau so, sagt ihm der Einsiedler, mach weiter… Und geh hin in Frieden! Als Wanderer zieht er dann durch Russlands Weiten. Wochen, Monate, Jahre. Und betet so. Bis es ihm zum inneren Bedürfnis wird, sich die Worte unbewusst über seinen Atem legen. Das Gebet prägt und verändert ihn, bis „es“ (= Christus selber) in ihm betet. So lernt und lebt er Glauben...

Eine zweite Erfahrung spielt in unsern Tagen. Zwei Freundinnen - Maria und Sophie -  gehen auf Sommerurlaub. Diesmal etwas anders. Sie melden sich für drei Wochen nachTaizé. Die eine: konfirmiert. Doch die Junge Gemeinde ist nicht das, was sie mag. Ihre Schulfreundin - konfessionslos -  findet's  einfach nur schick, mit ihr zusammen mal mit dem Rucksack Frankreich zu erkunden. In Taizé treffen beide dann auf Tausende von Jugendlichen, die in dieser christlichen Gemeinschaft bei karger Unterkunft und schlichtestem Essen für ein paar Wochen leben, singen, beten. Was da gesungen wird, in Latein und andern Sprachen, die fremden Liturgien, stundenlang bis in die Nacht, das verstehen sie nicht. Aber sie werden im Herzen berührt. Nach diesem so ganz andern Sommer suchen sie im kirchlich kargen Magedeburg nach liturgischen Angeboten. Ausgerechnet nach dem, was uns meist abgeklärte Gottesdienstbesucher nervt und immer mehr gekürzt wird! Nach zwei Jahren lässt sich die Konfessionslose taufen, und die Konfirmierte sucht sich eine kleine Gemeinde, macht ihren Laienprediger-Schein, und wird Kirchvorsteherin. So kann's gehen: Distanziertes Nichtverstehen, ungewohnte Liturgien, fremde Begriffe und Riten müssen nicht zur Ablehnung führen. Sich ihnen auszusetzen, in Gleichklang kommen, kann Christusbegegnung bedeuten. Dabei wird auffällig wenig erklärt. Aber vieles eingeübt. Der Groschen fällt nicht nur. Es reicht schon, wenn er sich bewegt. Wenn aus „kleiner Münze“ über Jahre die „stabile Währung“ Glaube wird.

Schließlich lande ich bei mir sebst. Meine Fähigkeiten, Psalmen und Lieder auswendig (englisch: by heart!) zu können, waren beim Start im Pfarrberuf eher mager. Die Bibelkunde von manchem meiner Kollegen lässt mich bis heute neidvoll erblassen. Über die Jahre habe ich hinzulernen dürfen. Nicht indem ich gepaukt hätte. Auch nicht aus Routine. Sondern im Vollzug mit der Gemeinde. In Konfi-Stunden, bei Besuchen, der dichter Atmosphäre manchen Trauergesprächs. Die Tiefe von Psalm 23 etwa. Den habe auch ich einal vor der Konfi-Prüfung auswendig gelernt und aufgesagt. Doch was er bedeutet, bis in die Tiefe einer Existenz bedeutet, das habe ich erst an Pflegebetten begriffen. Im Gegenüber mit völlig dementen alten Geschwistern, mit denen keiner vom Pflegepersonal mehr kommunizieren konnte. Bei den Versen des Psalms aber wurden so manche ruhig und bewegten ganz selbstverständlich ihre Lippen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln...“ Mir sind auch Lieder zugewachsen, einige sperrig und fremd, die ich in jungen Jahren zu singen verweigert habe, und die ich als junger Pfarrer freiwillig nie an die Liedtafeln gesteckt hätte. Als Geburtstagswunsch hat maches Lied dann aber ein Gesicht bekommen. Am Sterbe-Bett gesungen, manchmal nur gesummt,  hat es Energie verströmt. So ist mir manches Fremde zum Schatz geworden: meine drei Psalmen, die ich im Innern bewege: wenn ich unterwegs bin, auf die S-Bahn warte oder gehe. Nicht ich habe Verstehen erzeugt, manchmal scheint es, die Texte haben mich verstanden.

Vorhin, bei der Taufe, haben wir miteinander das Apostoische Glaubensbekenntnis gesprochen. Ein alter Text. Vor 1.800 Jahren, rund hundert Jahre nach unserem Predigtwort, ist er entstanden. Ausgehandelt, manche Silbe gar erstritten… Ein Stück geronnener Glaube. Was geschieht dabei, wenn wir die fremd-vertrauten Zeilen sprechen? Und wie stark sind wir dabei? Haben wir alles verstanden? Oder geht es Ihnen wie mir auf dem Bahnhof mit der schrillen Werbung? Kirchliches Fach-Chinesisch… Vokabeln wie vom andern Stern. Keine Ahnung, was dahinter steckt…  DAZN, Mate 20 HUAWEI. Auch beim Glaubensbekenntnis gilt: Wenn du zur Zielgruppe gehörst, dann hast du eine Ahnung, dann weißt du auch Bescheid.  Es geht um Gott, es geht um Christus, wie der ist. Dabei ist gar nicht so wichtig, ob du jede Wendung verstehst. Manchmal ist dir die eine näher, das nächste Mal die andere. Und manche kannst du bei aller Mühe nicht verinnerlichen. Viel wichtiger ist, dass du dabei bleibst. Dich in diese Gemeinschaft hineinsprichst. Und Christus in dich.

Amen.

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Pfarrer Frank Bohne
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