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Predigt zu Joh. 19,16ff., Karfreitag, zum Thema
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Predigt zu Joh. 19,16ff., Karfreitag, zum Thema "Nagel"

Predigt vom 19.04.19 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche

(jeder Besucher erhält am Eingang einen 70er Nagel)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Lasst uns in der Stille beten!
Der Herr segne an uns sein Wort!

Liebe Gemeinde!

Am Eingang haben Sie vorhin einen Nagel bekommen. Vielleicht halten Sie diesen jetzt in den Händen, oder haben ihn vor sich auf die Bank gelegt.

Ein Nagel am Karfreitag verheißt nichts Gutes. Da wird es einem etwas mulmig. Sicher haben viele gleich an die Nägel gedacht, die Jesus am Kreuz durchbohrt haben. Doch ehe wir die Lesung von Jesu Kreuzigung hören, lassen Sie uns zunächst einfach bei einem solchen Nagel verweilen. Ein Nagel ist ja an sich noch nichts Schlimmes…  Es gibt sie in verschiedenen Größen, für alle möglichen Zwecke. Klein und filigran, oder praktisch griffig wie der in Ihrer Hand. Es gibt sie auch wesentlich größer, als Zimmermanns-Nägel bis zu 20 cm Länge. Sie sind gewissermaßen die großen Brüder von Ihren…

Ein Nagel… keiner weiß, wer ihn eigentlich erfunden hat. Ein schlichter Metallstift, mit einer Spitze auf der einen und einem Kopf an der anderen Seite. Die Spitze, damit er sich leichter einschlagen läßt. Der Kopf, damit das, was genagelt wird, auch hält. Sieht man von Nagelwettbewerben bei Volksfesten einmal ab, wo das Einschlagen aus Spaß betrieben wird, dann ist ein solcher Metallstift ein recht praktischer Gegenstand: Man schlägt ihn in die Wand, um ein Bild aufzuhängen. Oder in einen Pferdefuß, um ein Hufeisen zu befestigen. Man schlägt ihn in Balken, um ein Hausdach zu bauen. In den Deckel einer Transportkiste. Oder in Bretter, um ein Grundstück zu verrammeln. Man schlägt ihn auch in Stiefelsohlen, um einen Absatz zu befestigen. Nägel sind vielseitig. Ein nützlicher Gegenstand. Ein Nagel weiß nicht, wozu er gebraucht wird. Er fragt auch nicht, warum. Der Nagel fragt nicht, wer auf dem Bild ist, das an ihm aufgehängt wird. Das Bild eines Heiligen oder eines Tyrannen. Der Nagel weiß nicht, wer das Pferd reitet, dessen Hufeisen er hält. Er hat keine Ahnung, wer in den beschlagenen Stiefeln marschiert und wohin. Er fragt auch nicht, wem das Grundstück gehört, das verrammelt wird, und wer so draußen bleiben muß. Ein Nagel ist halt ein Nagel, er hat weder Gewissen noch Moral.

Eines Tages vor knapp 2000 Jahren werden von einem Mann drei solche Nägel gekauft. Der Mann trägt einen Helm und einen Brustpanzer, Beinschienen und ein kurzes Schwert. Es ist ein römischer Soldat. Er ist kein lebloser Gegenstand. Er könnte fragen, nach dem, was gut ist und was böse. Nach dem Gewissen, nach der Moral. Vielleicht hat er auch beides. Vor allem aber hat er einen Befehl. Und den führt er aus. Befehl ist Befehl.

(An dieser Stelle wird als Evangelium Johannes 19, 16b-30 gelesen.)

Drei Metallstifte. Sie werden verwendet, um einen Menschen ans Kreuz zu schlagen. Mit ganz wenigen, dürren Worten beschreibt die Bibel das Geschehen.

„Und sie kreuzigten ihn…“ 

Mehr braucht sie nicht zu sagen. Denn die Menschen der ersten Jahrhunderte hatten es ja praktisch vor Augen, und ihnen lief das Grauen schon bei den wenigen Worten eiskalt über den Rücken. Was geschieht bei einer Kreuzigung mit dem Verurteilten? Auch wenn in Passionsliedern viel vom vergossenen Blut gesungen wird. Kreuzigen ist eine auffallend unblutige Angelegenheit: Der Verurteilte schleppt den Querbalken seines Kreuzes selbst durch die Stadt. Das soll ihn entkräften. Am Richtplatz ist der Kreuzesstamm schon in die Erde gerammt. Dort wird der Verurteilte nackt ausgezogen. Dann nagelt man ihn mit ausgestreckten Armen durch das Handgelenk am Querbalken an, zieht den Balken am Kreuzesstamm hoch und befestigt ihn 2-3 Meter über dem Erdboden. So, dass das Kreuz aussieht wie ein lateinisches T. Dann nagelt man die Füße des Verurteilten am Kreuzstamm fest. Wenn man mit dem Hingerichteten Erbarmen hat und sein Leiden verkürzen will, bricht man ihm vorher die Beine, oder sticht mit einer Lanze in die Achselhöhlen. Wenn das nicht geschah, musste der Gekreuzigte viele Stunden, oft mehrere Tage hängen, bis der Tod eintrat. Durch Erschöpfung, Ersticken, Kreislaufversagen. Bis dahin ist der Hingerichtete den Vögeln preisgegeben, die ihn anfallen. Den Fliegen und den Bremsen, die ihn stechen, sich auf seine Wunden niederlassen.

Unter dem Kreuz – das Hohngelächter der Gaffer. Dazu die Hitze, diese flirrende, drückende Hitze, die den Hängenden in den Wahnsinn treibt.

Dazu dienten drei Nägel, die jener Soldat vor knapp 2000 Jahren kaufte. Um Jesus festzunageln. Um ihn aufs Kreuz zu legen.

Festgenagelt sein, das ist das Schlimmste. Sich nicht mehr wehren können. Ausgeliefert sein. Der Sonne, den Gaffern und den Fliegen. So geht man mit Dingen um, aber nicht mit Menschen. Und doch sind es Menschen, die die fleischgewordene Liebe Gottes aufs Kreuz gelegt haben. Die den Heiland festnageln, so dass er sich nicht mehr rühren kann. Menschen sind es, die Dinge wie zum Beispiel Nägel - die ja an sich nichts Schlechtes sind -, benutzen, um Gott aus der Welt zu schaffen.

Was auf Golgatha geschieht, ist ja beileibe kein bedauerlicher Justizirrtum: Es ist abgekartet, akribisch geplant und durchgezogen. Dieser EINE, der sagt, er sei Gottes Sohn, muss fort. Auf genau diese Weise, damit man ihm auch noch das Letzte nimmt, was er hat: seine Würde. Die Soldaten tun es, weil es ihnen einer befahl. Oder weil sie bei aller Verrohung über Jahre inzwischen gar Gefallen daran finden. Pilatus tut es, weil er über oder neben sich keinen dulden kann. Das gefährdet die Macht: Erst recht, wenn ein anderer mit der Wahrheit kommt. Und auch die angesehenen Leute aus dem Hohen Rat, die sonst kein Sabbatgebot übertreten würden: auch sie tun es! Weil sie in religiösen Dingen lieber ihre Ruhe haben wollen, als sich in ihrem überkommenen Gottesbild erschüttern zu lassen.

Gott wird aufs Kreuz gelegt. Festgenagelt. Aus der Welt geschafft.

Und wir heute, hier in unsern Kirchenbänken? Nein, wir haben so was nicht getan. Keiner von uns hat die Nägel besorgt, und keiner von uns hat drauf gehauen, als man Jesus ans Kreuz schlug. Doch sind wir deswegen schon besser als jene, nur weil wir später leben? Hätten wir damals den Befehl verweigert? Unser Gehirn, und unser Gewissen eingeschaltet, wenn uns einer losgeschickt hätte, um drei Nägel für eine Kreuzigung zu kaufen?

Als Deutsche werden wir da schnell kleinlaut. Haben sich nicht erst unsere Väter und Großväter mit dem Befehlsnotstand herausgewunden …? Und damit recht bekommen, wo auch immer sie vor dem Kadi standen?

Ich denke nicht, dass wir besser sind als jene. Alle miteinander. Mich selber eingeschlossen. Auf dass Paulus recht behalte, der schreibt: „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten…“ Auch wir legen den einen oder andern aufs Kreuz: Den frechen Arbeitskollegen, oder dem unverschämten Nachbarn, dem ich‘s nach Jahren endlich mal heimzahlen kann. Den Mitschüler, der gemoppt wird, bis er vor der ganzen Klasse zerbricht und gehen kann. Bis heute werden Leute aufs Kreuz gelegt. Im Kleinen wie im Großen. Sie werden festgenagelt, so dass sie nicht mehr loskommen, sich verändern können. Eine Herkunft zum Beispiel. Ein ausländisch klingender Name. Der kann weit härter festnageln als so mancher Metallstift. Ein Milieu kann Leute festnageln. Wie genietet, manchmal über Generationen. Da bestimmst du auch nicht mehr selber deine Chancen und Interessen. Das tun die Umstände oder ein anonymes Amt für dich. Da kommst du auch nicht mehr raus.

Leute werden auch fest genagelt auf die Vergangenheit. „Wissen Sie, der hat mal gesoffen… Dann ist er wohl kaum zuverlässig.“ „Und der war im Gefängnis: Sei vorsichtig.“ „Und der da, das „Dreckschwein“, der hat noch nie den Hausflur gewischt, geschweige denn die Straße gekehrt. Was will man von so einem erwarten …?“ Wir haben weit mehr als drei Nägel, mit denen man Leute festnageln kann. Wir haben ganz andere Methoden. Und oft genug machen wir dabei auch Gott, den Herrn, hilflos, dass auch ER sich nicht mehr rühren, an uns nicht mehr handeln kann. Immer dann, wenn wir Mittel und Möglichkeiten, die ER uns schenkt, zum Schaden anderer gebrauchen. Wenn wir unsere Klugheit nicht zum Wohle anderer, sondern zu Streit und Zwietracht nutzen. Wenn wir Geduld und Langmut zur Faulheit verkommen lassen. Den reichen Segen von Gottes guten Gaben zu Besitzgier und Egoismus umfunktionieren. Wenn es heißt: „Mein Wille geschehe, meiner, ... meiner, nicht der Wille Gottes“. Immer dann legen wir Gott aufs Kreuz, nageln ihn fest, schaffen ihn ein Stück aus der Welt, in die er doch gekommen ist mit Christus, seinem Sohn. Gott will darin wohnen, und will diese Welt erlösen. Die Menschen von damals, und die Menschen von heute. Die Nagelkönige unserer Tage. Nicht nur die auf Volksfesten, sondern die des Alltags. Und Gott hat damit weiter alle Hände voll zu tun. Hände, durch die sich bis heute unsere Nägel bohren. Weil wir noch immer andere die Nägel spüren lassen, deshalb hängt der angenagelte Gottessohn da auch für uns, an unserer Stelle. Er nimmt das Urteil Gottes, was uns treffen soll, auf sich und ruft. „Es ist vollbracht.“ Vollbracht, erfüllt, komplett. Mit andern Worte: Das Maß ist voll. Nun soll es anders werden.

Jesus ruft mit seiner letzten Kraft: Es ist vollbracht! Und Gott, der Vater, hört. Er hört auf Jesus, seinen Sohn. Schenkt den Menschen Gnade und Vergebung um Christi willen. Geht nach Ostern neu auf die Menschen zu. Sogar auf Soldaten wie jene damals, dort auf Golgatha, und kann sie für sich gewinnen. Unzählige Soldaten-Märtyrer, gerade in den ersten Jahrhunderten, sie zeigen: Ja, sogar solch brutale Kerle lassen sich von Gottes Liebe gewinnen. Verwandeln. Ist damit nun für uns schon alles gut?  Nein, noch nicht! Nicht ganz. Denn solange wir zuschauen, wie andere neben uns aufs Kreuz gelegt und festgenagelt werden, solange ist noch nicht alles gut.

Bleibt in der Liebe, so wie ich euch geliebt habe. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“  heißt es bei Johannes, als Jesus von den Seinen Abschied nimmt. Wer in der Liebe bleibt – in der Liebe dessen, der sich da auf Golgatha zum Opfer gibt – der wird dann auch fragen, was so mancher Nagel in unsern Tagen zusammenhält. Und er wird manchen Nagel auf den Kopf zu fragen: Was für eine Transportkiste hältst du da eigentlich zusammen? Was ist da drin? Waffen für jene Gegenden, aus denen dann Flüchtlinge kommen? Oder endlich Medikamente? Hilfe zum Leben? Und der Bruder, der dich zusammen genagelt hat, hat der eigentlich sein täglich Brot bekommen? Und du, Nagel, der du das Grundstück verrammelst, geschieht das wirklich zum Schutz? Oder hilfst du nur dabei, daß sich Leute vor andern abschotten und verstecken können?  Und du Nagel, der du das Dach zusammenhältst, wer wird unter dir ein und aus gehen? Werden sich Menschen unter dir verkaufen müssen, oder sich in Würde begegnen? Ein Nagel fragt nicht. Er ist ein Ding. Ein Metallstift mit einer Spitze und einem Kopf. Er hat kein Gewissen, keine Moral und auch keinen Glauben. Er nicht, aber wir. Wir können fragen, nach unserem Gewissen, nach dem, was gut und böse ist, und so unseren Glauben leben. Behutsam und in kleinen Schritten, immer mit Blick auf Christus, der für uns ans Kreuz gegangen ist, im Vertrauen auf seine Gnade.

Und der Friede Gottes, der mehr umfasst, als wir verstehen können, bewahre unsere Herzen und Sinne und unsern Leib in Christus Jesus. Amen.

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Pfarrer Frank Bohne
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