Predigt zu Lukas 19, 1-10 am Gedenktag der Kirchweihe der Kirche Gautzsch/Martin-Luther-Kirche, 7. November 2021
Predigt vom 07.11.21 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche
Lukas 19, 1-10
Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.
Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.
Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Liebe Gemeinde!
Die Zeiten haben sich gewandelt. Wir brauchen nicht auf Bäume zu klettern, um einen Blick auf Jesus zu bekommen. Wir haben unsere Kirche, und das feiern wir heute. Wir sitzen nicht im Geäst, wir haben Bänke mit bequemen Kissen. Da lässt sich‘s aushalten beim Singen und Hören. Wir müssen uns nicht durch Menschenmengen zwängen wie Zachäus. Viele haben ihren Stammplatz, und wenn der tatsächlich besetzt wäre, setzen wir uns eben woanders hin.
Wir brauchen auch nicht gespannt auf den Moment zu lauern, wenn Jesus durch unsern Ort geht. Denn immer, wenn die Glocken läuten, lädt ER ja ein, will ER bei uns sein. Sogar, wenn nur zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. Wir haben‘s also viel leichter als die Leute einst in Jericho. Das verdanken wir den Vätern und Müttern im Glauben, den Gautzscher und Zöbigker Patronatsherren, die ihr Vermögen für diese Kirche eingesetzt haben, damit wir Jesus hier begegnen können.
Allerdings - die Zeiten haben sich auch in anderem Sinne gewandelt: Für Jesus laufen die Leute nicht unbedingt mehr in Scharen zusammen. Das schaffen in deutschen Landen vielleicht ein paar Prominente. Wenn ABBA bei uns aufspielte, oder André Rhieu, dann würden vielleicht größere Mengen vom Sofa gelockt. Aber bei Jesus? Wenn es hieße: „ER kommt“ - winken vermutlich viele ab. Auch Leute, die sich zur Gemeinde zählen. „Ihr mit euerm Jesus!“ Sie ärgern sich vielleicht noch über den Lärm der Glocken, weil sie sonntags lieber ausschlafen wollen.
Und bei aller Freude über unser Gotteshaus: Hat es nicht auch Sorgen gemacht?
Es wird auch nicht aufhören mit den Problemen: Wo kommt das Geld her für die Erhaltung? Für Heizung und Strom? Ein angemieteter Saal wäre deutlich billiger...
Wer hilft, wenn wir sie offen halten, im Sommer? Und wenn wir beim Bauen sind, an der Kirche und dem Drumherum, dann reden uns alle möglichen Behörden mit rein. Leute, die sich herzlich wenig für das interessieren, was hier gepredigt und gefeiert wird. Für ein Loch von 20 cm für eine moderne Lüftung reden wir nun schon 3 Monate.
Die Zeiten haben sich tatsächlich gewandelt.
Bleibt die Frage, wo wir als heutige Hörer der Geschichte unseren Zugang finden. Und das zu Kirchweih. Wo wir uns identifizieren. Zachäusse sind wir nicht. Schließlich sind wir keine Gauner und Betrüger. Jesus sind wir auch nicht. Denn an uns hängt nicht das Heil der Welt. Wir brauchen es selber wie das täglich Brot. An der Seite der murrenden Selbstgerechten, die Zachäus die Sicht versperren und ihn am liebsten wegdrängen wollen, da fühlen wir uns auch nicht wohl. In diese Ecke wollen wir uns nicht stellen lassen.
Schauen wir noch einmal in die Geschichte hinein. Schauen wir genauer und tiefer.
Jesus kam nach Jericho und wollte hindurch ziehen. Und siehe, da war ein Mann, der war Oberzöller und war reich. So heißt es ganz am Anfang.
Wir sehen den Oberzöllner, den einen, reichen Mann. Doch sehen wir auch, wie er reich geworden ist? Ich stelle mir einen Bauern vor, der einen Korb mit Oliven in Jericho verkaufen will. Dazu muß er am Zoll vorbei. Zachäus nimmt ihm einen Teil von seiner Hände Arbeit. Manchmal willkürlich. Es steht in seinem Ermessen.
Dann sehe ich eine alte Frau. Mit gewebtem Tuch verdient sie ihren Unterhalt, auch den ihrer Kinder. Als sie das Tuch zu Markte trägt, frisst der Zöllner einen Teil ihrer Mühe.
Auch die Handwerker, die mit Töpfern oder Körbemachen ihr Brot verdienen, auch sie müssen einen beträchtlichen Teil ihrer Mühe bei Zachäus lassen. So nährt die Not der einen den Wohlstand dieses Oberzöllners.
Geld und Reichtum, der sich wie von selbst vermehrt… Das ist wahrhaftig kein Bild fürs Blühen und Wachsen. Es ist eher wie ein Krebsgeschwür, das das Miteinander zerfrisst. Die Beschreibung eines selbst verschuldeten Todes. Denn da hat sich einer aus dem Leben gestohlen. Aus dem Leben der anderen, aus der Gemeinschaft eines Ortes: Die Güte und Lebensweisheit der alten Frau kann ihn nicht mehr erreichen. Was sollte sie ihm nun noch sagen? Die Freundschaft der Bauern und der Handwerker hat er leichtfertig verspielt, denn er ist ihr Feind geworden. Einer, der ihre Mühsal schäbig ausgenutzt hat.
Seine Ohren sind taub für die Sorgen von anderen, seine Augen blind für fremde Not, seine Hände gelähmt vom Raffen in die eigenen Taschen. Die treffende Bezeichnung der Bibel für einen solchen Menschen lautet: Er war tot. Er ist nur zu faul, umzufallen und verscharrt zu werden.
Da sitzt dieser „Untote“ auf dem Baum und will Jesus sehen. Sind noch nicht alle seine Träume gestorben? Gibt es eine Sehnsucht, die der Besitz noch nicht erstickt hat? Was will er erhaschen, wenn Rabbi Jesus durch Jericho zieht? Will er, der den Armen Brot und Verdienst gestohlen hat, ihnen nun auch noch den Sohn der Hoffnung nehmen? Jenen, der sagt: Den Armen gehört das Himmelreich. Was will er von ihm? Er schwimmt doch im Geld. Fehlt ihm doch noch das Höhere? Er hat eine Burg um sich gebaut. Fehlt ihm da noch der passende Hausgötze, der ihm Segen schuldet - wie der Bauer den Zoll? Fehlt zu seinem Besitz nun noch ein Quäntchen Religion, ein bisschen Gott, als Sahnehäubchen für die Moral? Zachäus, der Tote auf dem Baum ...
Vielleicht hat er auch nur gemerkt, dass er trotz allen Reichtums seiner Größe keinen Milimeter hinzufügen kann. Ein körperlicher und moralischer Zwerg läuft mit seinen kurzen Beinen der Menge voraus und zieht sich mit Mühe auf den ersten Ast des Feigenbaums.
Das Beste, das einzig Lebendige, das ihm geblieben ist, das ist jene Lächerlichkeit: Der Wunsch, dazuzugehören. Gesehen zu werden. Nicht mit dem flüchtigen Blick der Verachtung, den kennt er. Sondern mit dem zweiten Blick, von Jesus, dem Sohn des Lebens. Jener Kleine, der alles hat, und sich doch nicht geben kann, was er braucht: Die Freundschaft eines Mitmenschen, das Lachen und Weinen eines Nachbarn, durch das du spürst: Du bist ein Teil dieser von Gott geschaffenen Welt. Zachäus bettelt um den zweiten Blick.
Als Jesus an den Ort kam, blickte er auf zu ihm und sprach: Zachäus, steige eilends herab! Denn heute muss ich in deinem Haus einkehren.
Da wird er gerufen. Mit dem Namen, der ihm im Herzen immer fremdgeblieben ist. Zachäus – „Zakchaios“ – das heißt auf hebräisch „Gerechter“. Das hat noch nie zu ihm gepasst. Zu ihm, dem Oberzöllner. Er sollte „Steinherz“ heißen, oder „Blindgänger.“ „Mann ohne Auge und Ohr“. Wer ist er? Der Erbarmungslose? Ist er tatsächlich „Zachäus“?
Dieser Jesus ruft ihn „Zachäus“. Diese Anrede, vor so vielen Ohren, die trifft. Sie wirkt - so wie jener andere Ruf, den Jesus sprach: „Lazarus, komm heraus aus deinem Grab!“
„Zachäus, Gerechter, komm herab vom Baum.“
Jesus hat gewiss schon etliches hinter sich: Leicht ist es, Wasser zu verwanden in Wein. Leicht ist es, einen Sturm zu besänftigen. Leicht ist es, Brot zu vermehren, das dann für alle reicht. Doch wie schwer ist es, ein Herz aus Stein in Fleisch zu verwandeln. Trockenen, hart gewordenen Augen wieder eine Träne abzuringen. Einen Menschen frei zu machen, damit er wählen kann: Zwischen dem, was war, und seinem wirklichen Namen. Zu dem, wozu er bestimmt ist.
Dem Sohn des Lebens gelingt es, das Steinherz zu brechen. Zachäus, heute muss ich in deinem Hause bleiben. Jesus tut, als sei da tatsächlich schon ein Haus, in dem man bleiben kann. Jesus gibt nichts. Er nimmt. Er nimmt, wie man von einem Freunde nehmen kann, mit dem man schon einig ist und von dem einen nichts trennt.
Da ist er, der zweite, der ersehnte Blick! Der Blick von Christus hebt das Tot-Sein auf und ruft die Güte ins Leben. Das ist die einzige List, die die Liebe kennt. Sie tut so, als könne sie nehmen, wo nichts vorher war.
Und als die Leute das sahen, da murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.
Die Wut der Menge ist verständlich. Die Wut all derer, die schon bezahlt haben beim Oberzöllner, bei seinen Unterzöllnern und Helfershelfern. Wenn schon der Zöllner den Bauern erpresst, der Reiche den Armen bedrückt, wenn schon die Macht das Recht verschlingt, dann soll es doch wenigstens jene späte Genugtuung geben: Dass tot bleibt, was sich selbst dem Leben entzogen hat. Dass sein Name nicht mehr genannt wird, der die Namen der anderen zertreten hat. Dass der nicht mehr angesehen wird, der blind war für andere. Dieser kalte Trost, wenigstens der soll bleiben.
Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich etwas von jemandem erpresst habe, so gebe ich es vierfach zurück.
Was ist hier geschehen? Nichts weniger als ein Wunder. Güte, die Güte hervorbringt. Gnade, die Gerechtigkeit weckt. Da ist einer aus seinem Prunk-Grab getreten und hat ein Haus daraus gemacht. Da hat einer seine Krallen geöffnet, und sie wurden wieder zu Händen. Da hat einer seinen Namen gehört, mit dem er schon lange gerufen war. Beim Namen gerufen, und nun, endlich frei.
Da ist einer von den Toten auferstanden, ist jung und leichtsinnig geworden: Die Hälfte den Armen. Vierfach zurückgeben, was abgepresst war. Und Jesus kann nicht anders als festzustellen: Diesem Hause ist heute Heil widerfahren. Denn auch er ist Abrahams Sohn.
Das bleibt das Geheimnis des Evangeliums bis heute: Du bist gerufen, ehe du dir einen Namen gemacht hast. Du wirst vom Baum geholt und an den Tisch gesetzt.
Die Güte trinkt mit dir aus einem Becher, noch ehe du selber gütig bist. Mit dir trinkt die Liebe Brüderschaft, und mit jedem Schluck, den du nimmst, wirst du Mensch. Deine Schönheit erwacht, so wie Gott dich entworfen hat.
Dann können Augen tatschlich wieder sehen: Die Hände der alten Frau, die mit Mühe ihr Tuch webt, Faden um Faden. Dann können Ohren wieder hören, die Nöte des Bauern und des Handwerkers, die Auskommen brauchen für ihre Familie. Der Mund findet wieder eine Sprache, die nach Recht schreit. Recht, das der Zöllner vorher verlacht hat.
Einem kleinen Mann werden Beine gemacht. Beine, die ihn hinaustragen aus dem Haus, wo die Liebe Gottes mit ihm getrunken hat. Hinaus auf die Straße, da, wo es für ihn nun jede Menge zu tun gibt. Damit Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.
Zachäus ist von Gott gesehen. Und er beginnt, die Menschen um sich herum neu zu sehen. Zuerst war da nur der taxierende Blick. Ein Bauer mit Oliven: das bringt sechs Groschen. Die Alte mit dem Tuch: bringt weniger. Drei Groschen. Seine Art zu sehen wird neu. Jetzt sieht er auch die Mühen der Arbeit, den krummen Gang der Armut, die rissigen Hände. Er liest die Geschichten der Not in den Gesichtern und schleppt das Heil, das in sein Haus gekommen ist, auf die Straße, an die Zäune, zu denen, die darauf warten.
Jesus sprach: Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Also doch der Zachäus. Da ist die Andock-Stelle für uns bis heute. Der Zachäus in uns, der von Gott gerufen ist. Denn auch wir sind doch von IHM mit Namen gerufen. Die Annas, die Gertrauds und Elviras, die Kläuse und Wolfgangs, die Annikas, Magdalenas, die Johanns, und wie sie allen heißen. Hier vorn, in diesem Taufstein, sind viele von uns mit Namen gerufen. Und seitdem gilt: Komm her, du Gerechter, steh auf von den Toten, aus deinem selbst gemachten Grab. Denn Gott traut dir zu, dass du anders wirst. Genau dann, wenn Gottes Güte, seine Liebe dich erreicht. An IHM liegt es nicht. Er wartet auf dich.
„Kommt her zu mir, die ihr mühselig und belden seid“, das steht an der Tür hier unter der Kanzel. Früher gingen die Gemeindeglieder da hindurch, wenn sie das Abendmahl nahmen.
Komm her zu IHM. Das gilt bis heute, auch wenn dir nicht nach Frohlocken, sondern eher nach Weinen ist. Komm dahin, wo wir über unsere Nöte beten. Wo wir Brot und Wein miteinander teilen. Dahin, wo die Liebe Gottes mit uns schon so oft Brüderschaft getrunken hat und auch weiter mit uns isst und trinkt. Damit sein Heil bei uns einkehren kann, immer wieder neu.
Weit ist es zu ihm nicht. Manchmal ist der Weg nicht weiter als ein paar Schritte hierher ins Gotteshaus, das die Alten genau für diesen Zweck gebaut haben. Damit wir Jesus begegnen und seine Liebe in uns einkehren kann. Wenn er zu dir kommt und du nimmst ihn auf, dann ist auch dir Heil widerfahren.
Und der Friede Gottes, der mehr umfasst, als wir verstehen könne, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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