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Predigt Sonntag Judika zu Hebräer 13, 12-14 für den Sonntag Judika, 29.3.2020
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Predigt Sonntag Judika zu Hebräer 13, 12-14 für den Sonntag Judika, 29.3.2020

Predigt vom 29.03.20 (Pfarrer Frank Bohne) Ort: Martin-Luther-Kirche

Hier können Sie das Glockenläuten der Martin-Luther-Kirche hören.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeindeglieder zu Hause, liebe Besucherinnen und Besucher unserer Internet-Seite!

Beim 5. Passionssonntag sind wir angekommen, zugleich der zweite ohne Gottesdienst in unserer Gemeinde. Mit seinem Namen „Judika“ werden wir in die Sprache des Rechts hineingenommen: „Schaffe mir Recht, Gott! Richte doch endlich!“ ruft der Beter im 43. Psalm zu Anfang laut aus.
Glaubende sind schon zu Zeiten des Alten Testaments angefochten und bedrängt, inmitten ihrer Gemeinschaft in Volk und Land. Menschliches Leben ist antastbar,  gefährdet. So stellt sich wie von selber die Frage nach Gott. Wo ist ER in all dem? Steht er drüber? – Diese Spur finde ich zuweilen in der Bibel. So heißt es im Psalter: „Du thronst über den Lobgesängen deines Volkes“. Dann thront Gott wohl auch über den Klagerufen seiner Frommen?!
Manchmal wird Gott auch geglaubt als einer, der unserem menschlichen Treiben zusieht, auch dem Bösen, und es dann im letzten Moment doch noch zurecht biegt. „Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!“, sagt der altersweise Josef zu seinen Brüdern, als sie sich nach Jahren in Ägypten wieder in die Arme schließen. Es tut gut, wenn am Ende alles gut ausgeht, und es ist des Dankes gegenüber Gott wert.
Und wenn nicht? In der alttestamentlichen Lesung für unseren Sonntag steht die bedrückende Geschichte der „Opferung Isaaks“. (1. Mose 22). Abraham versteht es als seine religiöse Pflicht, den so lang ersehnten, erstgeborenen Sohn zu opfern. Wie es Brauch war damals! Wir hören diesen dumpfen Klang heute nicht mehr mit. Fragen vielleicht, wie Gott nur so etwas Grausames fordern kann. Die Geschichte geht am Ende gut aus, weil Gott selbst dazwischen geht. Er will solche Opfer nicht. Sie sind IHM die Hölle! Er steht schon lange auf der Seite Abrahams, der bis dahin gemeint hatte, Gott schaue von oben zu und warte auf das Opfer… Abraham hat eine Lektion lernen müssen über seinen Gott.
Im Evangelium (Markus 10, 35-45) werden wir auf einen weiteren Irrweg mit-genommen, wie Gott nicht ist: Zwei oberschlaue Jünger meinen, sie könnten sich im Himmel an die Seite Jesu mogeln und sich dafür schon mal die besten Plätze sichern. Das führt prompt zu Zank und Streit, schon hier unten auf der Erde. Und Jesus hat – wenige Kilometer vor Jerusalem – schwer zu tun, den eigenen Leuten klar zu machen, wie sie sich den Himmel bitte nicht vorstellen sollen. Keine Platzreservierung nach Rang und Namen! Was zählen wird, sind Dienst und Demut hier unten. Schwache stärken, Gebeugte aufrichten, absehen von sich selbst. Gottes Sohn geht dabei als Beispiel voran. Sie sollen staunen, was Gott mit so viel Nächstenliebe tun wird. Hier unten auf der Erde, und dann auch im Himmel!
Auf dieser Linie, der Linie des Neu-Lernens über Gott, zieht dann auch die Epistellesung aus dem Hebräerbrief (Hebräer 5) eine markante Spur: „Wir haben einen Hohenpriester. Jesus, Gottes Sohn...“  Lesen Sie ruhig einmal die Epistel für Judika! Sie hilft uns, die Verse unseres daran anknüpfenden Predigttextes besser zu verstehen. Denn dieser gehört fast schon zu den Schlussworten im Hebräerbrief und besteht aus nur drei Versen: (Hebräer 13, 12-14)

„Jesus hat, damit er das Volk heilige, durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Den Hebräerbrief sehe ich als einen der kühnsten Schriften im Neuen Testament. Kein anderes Buch „jongliert“ so mit vertrauten jüdischen Bildern wie dieser Brief. Luther mochte ihn nicht sonderlich, weil er in so schwierigen Bildern von Christus spricht, und setzte ihn kurzerhand in seiner Bibelübersetzung weit nach hinten. Von Paulus wurde der Hebräerbrief nicht geschrieben. Der Völker-Apostel buchstabiert schwierige Gedanken zum Gesetz, zu Gottes Gerechtigkeit und unserer Schuld für die schlichten Gemüter in Korinth und anderswo, die nicht in jüdischen Traditionen aufgewachsen sind, vergleichsweise einfach. Der Hebräer-brief deutet in dramatischer Weise alte Bilder um: Christus ist Sohn Gottes und zugleich ein Hoherpriester. Er ist ganz Mensch und gehört doch zum Vater. Er lebt auf Erden wie wir und predigt in Jerusalem, und ist doch auch in Gottes himmlischem Tempel zu Hause. Er grenzt sich schroff von Opferritualen ab und vollzieht sie doch in himmlischer Sphäre ein für allemal.
In den Kapiteln 7-10 führt der Schreiber diese Gedanken aus, so dass denen, die sich im Jerusalemer Tempel-Ritual auskannten, vermutlich der Atem stockte: Während der Hohepriester dort einmal pro Jahr am Großen Versöhnungstag durch das Blut eines Lamms das Sühnopfer für das Volk vollzieht und sich ins Allerheilgste vorwagt, schreitet Christus als Priester durch den Tempelvorhang des Himmels bis vor Gottes Angesicht und gibt sich selber hin. Das ist genug. Ein für allemal. Das reicht für die Ewigkeit. Und für alle, die zu IHM gehören wollen.
In unserem Predigt-Abschnitt erzählt der Hebräerbrief dieses Opfer Jesu noch einmal. Allerdings geschieht sein Opfer nun nicht im Tempel, sondern draußen vor dem Tor. Der Apostel führt seine Leser in Gedanken hinaus bis vor die Tore von Jerusalem. Bis nach Golgatha. „Schädelstätte“ wird der Name übersetzt. Auch als „Knochen-Abfall-Hügel“ könnte man ihn deuten. Es ist die Müllkippe der Tempelstadt, auf der kein Frommer freiwillig nur einen Fuß setzt, weil er sich dort verunreinigen würde. Nur für Hinrichtungen – da war er grade noch zu gebrauchen…
Dahin führt uns unser Predigtwort. An einem Platz, wie er unreiner nicht sein könnte, stirbt Jesus, der Gottes- und der Menschensohn. Was kann und soll das alles nur bedeuten?
Damit die Welt, wie wir sie kennen, funktioniert – weiter funktioniert – ist den Menschen so manches heilig. Die Wirtschaftsordnung zum Beispiel. Was man tut, damit man weiter kommt. Damit den Letzten nicht die Hunde beißen. Eine Ethik und Moral, die den Erfordernissen und dem Zeitgeist, wenn's sein muss, angepasst wird. Und wo die Hoffnung auf ein Leben mit Gott auch jenseits vom Tod verschwunden ist, da wird sogar die Gesundheit heilig. Damit das alles „heilig“ bleibt, werden Opfer gebracht. Moderne Gesellschaften kennen das und billigen es, auch wenn der Kirche sonst verübelt wird, dass sie immer noch vom „Opfer“ spricht. Sogar moderne Theologinnen und Theologen  lehnen das bisweilen ab. „So kann man doch heute nicht mehr reden. Das ist zu blutig, das stößt ab...“ Und doch kalkulieren wir jedes Jahr rund 1000 Tote im Straßenverkehr ein, und nennen sie „Verkehrsopfer“. Jede Gewaltaktion von Staaten oder Gruppen fordert „Opfer“ - siehe Syrien oder Jemen. Und auch beim weltweiten Wirtschaften gegen Gottes Schöpfung wird ein Teil der Schöpfung „ge-opfert“. Ein „Blutzoll“, der wohlwissend erbracht wird. Da sage noch einer, Opfer seien unmodern!
Genau da spricht der Hebräerbrief mitten hinein. Nicht, um das Opferdenken zu verstärken, gar zu entschuldigen. Im Gegenteil, um von Gott her zu widersprechen! Gott sagt, der auferstandene Christus sagt: Es ist genug. Da ist EINER geopfert. Für die Großen und die Kleinen. Ein für allemal. Das reicht!
Nun hört das Opfern auf. Teilt euer Leben nicht in heilige und unheilige Bereiche. Gott tut es auch nicht. Der heilige Gott selber geht hinaus auf den unheiligsten Flecken Erde, den es in Jerusalem gibt. Den Müllplatz der Stadt. Dort ist Raum für Christus. Dort gibt er sich hin.
Weihnachten reden wir davon, dass Gott „vom Himmel runter kommt.“ Zu Karfreitag schauen wir auf Christus, Gottes Sohn. Der kann gar nicht weiter „runter kommen“. Wir haben einen heruntergekommenen Gott. Damit sich keiner was einbilden kann und muss. Damit sich keiner vor ihm scheuen muss. Bei ihm ist Platz. Wir können nicht tiefer sinken - als bis auf Augenhöhe mit IHM. Auf Golgatha.
Das ist die Lektion, die der Schreiber vom Hebräerbrief mit seinen Geschwistern einüben will. Deshalb ermutigt er sie: Lasst auch uns hinaus gehen zu IHM, unserm Gott. Mit ihm die Schmach zu tragen ist allemal besser, als bei uns selbst zu bleiben und uns etwas vorzumachen. Wir haben Zukunft bei IHM, weil er uns von unten her entgegenkommt. Nach dieser Zukunft mit IHM suchen wir. Sie bedeutet uns alles und geht über unser irdisches Wohl hinaus. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Wir suchen eine Stadt, in der einkalkulierte Opfer nicht mehr nötig sind. In der alles zugleich heilig ist. Die geschundene Schöpfung ebenso wie die vergessenen, gequälten, gedemütigten Menschen. Christus ist schon lange dort, vor dem Tor... 
Wolfgang Borchert hat inmitten der Trümmer im zerstörten Deutschland 1947 ein kurzes, beklemmendes Stück Weltliteratur geschrieben: Es heißt „Draußen vor der Tür“. Über Radiolesungen kam es auf Bühnen bis zum Film. Unteroffizier Beckmann, ein verwundeter, heimatloser Heimkehrer, hat nichts und niemanden mehr. Seine Eltern sind tot, der kleine Sohn starb unter Bomben, die Wohnung ging verloren und die Frau hat einen andern. Sie konnte ja nicht ahnen, dass er zurückkommen würde. Arbeit und Auskommen findet er nicht, niemand stellt ihn ein. Er ist wirklich „draußen vor der Tür“.
Auch Gott ist nicht mehr da. Beckmann hört Gott als alten Mann noch klagen, er könne ja niemandem mehr helfen, denn die Menschen hätten ihn eingemauert in den Kirchen. Die Mauern sind zu dick. Nun ist seine Stimme draußen viel zu leise, so dass ihn keiner hören kann.
Für mich atmen das Stück und diese Szene den Geist von unserm Predigtwort aus dem Hebräerbrief. Borchert formuliert einen Aufschrei gegen jene, die Gott, der seinen Sohn draußen vor dem Tor hat leiden lassen, hinter Kirchenmauern verbannt haben, um ihn mundtot zu machen. Um ihn abzuschneiden von den Ärmsten der Armen, den Schwächsten der Schwachen. Denn da will Gott hin. Dort ist er seit Golgatha. Es zieht ihn hinaus vor die Tore. Dahin, wo Menschen vor die Hunde gehen.
Gott lässt sich nicht domestizieren. Wir können nicht mit ihm den „heiligen Sonntag“ in restaurierten Kirchen feiern, ihn ansonsten aber aus unserem Alltag ausblenden. Denn für Christus gibt es kein „heilig hier“ und „unheilig da“.
Die Corona-Krise mit dem Leid in vielen Ländern hat nichts Gutes, das will ich klar und deutlich sagen! Doch sie kann uns schmerzhaft zeigen, wo Gott immer zu finden ist: vor den Toren. Draußen vor der Tür. Wir können unsere Kirchen eine Zeitlang nicht gemeinsam nutzen. Aber auch wenn wir sie wieder nutzen können, sind sie weißgott nicht der einzige Ort, wo ER sich finden lässt.
Behalten wir das ganz fest im Blick, wenn sich das Leben in einigen Wochen oder Monaten hoffentlich zu „normalisieren“ beginnt! Der Platz von Christus, von Gott selber, bleibt draußen. Vor der Kirchentür, in den Bezügen von Not und Leid birgt er sein Angesicht, sucht sich seine Geschwister. Vor den Friedhofstoren in Italien ist er, wo ein paar Angehörige mit einem Priester ein Vaterunser beten. In den Kliniken Spaniens, wo manchmal nicht mal dafür noch Zeit bleibt. Auch vor den Toren von Europa tummelt er sich, bei den frierenden und schlecht versorgten Kindern und Erwachsenen in den Lagern an der griechischen Grenze. Hören wir seine Stimme, während und nach dem Verteilen aller Hilfen in unserem reichen Land? Wohin werden wir zurückkehren, nach dem hoffentlich baldigen Überstehen der Krise? In satte Selbstgefälligkeit eines religiösen Bezirks, wenn die Gottesdienste wieder so schön wie früher werden? In eine Gesellschaft, in der jeder sich selbst der Nächste bleibt, wo einzelne Berufsgruppen ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen suchen? Es mag sein, dass die wirtschaftlichen Erschütterungen der Corona-Krise unsere  Kirche und die Gemeinden unserer Region dahin führen werden, wo Gott sich seit Karfreitag finden lässt: draußen vor dem Tor. Vielleicht müssen wir dort neu auf die Suche gehen. Seine Zukunft suchen wir. Dabei will ER sich finden lassen.
Amen.
Lied: EG 16, Strophe 5: „Gott will im Dunkel wohnen“ (Jochen Klepper)

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Pfarrer Frank Bohne
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