Morgenandacht am Tauftag Martin Luthers zur Eröffnung der Herbsttagung der Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens in Dresden
Predigt vom 11.11.11 (Pfarrer Dr. Arndt Haubold)
Liebe Schwestern und Brüder!
Der heutige 11. November ist für die Kinder zu Hause und in unseren Gemeinden der Martinstag, und der Abend wird im ganzen Land von Lampions und fröhlichen Kinderstimmen auf den Straßen geprägt werden – der ökumenischste und über christliche Konfessionen hinaus verbindendste Heiligengedenktag im Jahr. Es war der Tag der Beerdigung des Bischofs von Tour im Jahre 397.
Für besonders viele Hochzeitspaare ist es heute der lange vorbestellte Hochzeitstermin gewesen – der 11.11.11. Hoffentlich werden all diese Ehen nicht wegen ihrer Zahlenmagie, sondern aus Liebe und Treue getragen.
Für viele Grundstückspächter war der Martinstag in alter Zeit der Zahltag ihrer Jahrespacht, nachdem die Ernte eingebracht war.
Für die Gänse war es ein Tag des Schreckens, dies irae, dies illa.
Für die Jecken ist es der Auftakt der närrischen Jahreszeit.
Für die Franzosen ist es noch heute ein Feiertag – am 11.11.1918 wurde in einem Eisenbahnwaggon im Wald bei Compiègne der Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich unterzeichnet.
Für uns Lutheraner aber ist es der Tag der Taufe Martin Luthers.
Darum lasst uns mit dem Psalm 8 (EG 705) und danach mit dem Tauflied Martin Luthers "Christ, unser Herr, zum Jordan kam", daran erinnern (EG 202, 1.2.6)!
Gestern Abend kurz vor Mitternacht wurde im Hause von Hans und Margarethe Luther in Eisleben ein Knabe geboren, es war das erste oder auch das zweite Kind, die Historiker sind sich nicht sicher. Gleich heute, am nächsten Morgen, wurde er in die Petrikirche gebracht – die Gevattern hatte man noch in der Nacht oder im Morgengrauen um dieses Amt gebeten - und dort in der Kapelle unterm Turm von Pfarrer Bartholomäus Rennebecher getauft - auf den Namen Martin, den Heiligen des Tages. Die Wahl des Namens war also kein Programm und keine Familientradition, sondern eine Gepflogenheit. Vielleicht erhofften sich die Eltern, dass ihr Sohn in seinem Leben den Schutz des heiligen Martin erführe, der besonders für die Armen, die Bettler, die Reisenden und die Reiter als Fürsprecher geglaubt wurde. Ach, wenn sie geahnt hätten, welche Reisen dieses Kind später unternehmen würde und wie es sich am Ende seines Lebens trotz Wohlhabenheit als Bettler verstand!
Es war keine spektakuläre Taufe. Es gab keine Taufmedaille aus Meißner Porzellan, keine Taufkerze, keine Urkunde mit Taufspruch, kein Taufseminar zur Vorbereitung, keinen Patenschmaus und keine Feier der Gemeinde. Alles, was heute eine Taufe zum Erlebnis macht, fehlte. Eine Taufe ohne Eventcharakter. Wenn jemand geahnt hätte, dass dieses Kind einst eine der weltweit bekanntesten und bedeutendsten Persönlichkeiten werden würde, wäre die Taufe sicher anders verlaufen. Vor der Tür der Kirche hätte sich ganz Eisleben eingefunden, um den Saum des Taufkleides des kleinen Martin anzufassen. Man hätte den Rest des Taufwassers nicht weggeschüttet, sondern in einer Flasche sorgfältig konserviert und würde es vielleicht bis heute in homöopathischer Verdünnung im Luthershop verkaufen. In Ermangelung einer Videokamera hätte man ganz schnell einen Porträtmaler bestellt, der alle Anwesenden am Taufstein mit dem Rötelstift festgehalten hätte.
Keine spektakuläre Taufe. Manchmal genügt ein einfaches Ritual. Ein Gottesdienst ohne allen Schnickschnack. Eine Trauerfeier ohne gerahmtes Porträt und Teelichter und bunte Tücher und die Lieblings-CD des Verstorbenen. Ein Vaterunser scheinbar ohne aktuellen und persönlichen Bezug. Wir sagen vielleicht: Was für ein einfältiger, altmodischer Pfarrer!
Ein einfaches Ritual ist auch die Abbuchung der Kirchensteuer vom Lohn oder Gehalt ohne stärkeres Engagement im Gemeindeleben – wir verachten denjenigen vielleicht als lauen Christen – und arbeiten doch mit seinem Beitrag. Wer gibt uns das Recht zu solchen Überheblichkeiten?
Trotz seiner schlichten Taufe hat sich Luther später seiner Taufe erinnert als eines der wichtigsten Ereignisse seines Lebens. "Ich bin getauft!", hat er dem Teufel zugerufen, als der ihn in Versuchung führen wollte. "Ich bin getauft!" oder "Ich bin Christ!" konnte in der sozialistischen DDR-Gesellschaft eine befreiende Wirkung haben, wenn der Teufel der Staatssicherheit nach einem Menschen greifen wollte. Es schaffte Klarheit und ließ kein Schwanken zu.
"Ich bin getauft!" kann auch heute einem jungen Menschen Kraft geben und zum Widerstand helfen, wenn er von allzu Bessergläubigen zur Wiedertaufe gedrängt wird.
Dabei ist Luthers Tauflehre nicht widerspruchsfrei und für uns heute keine leichte Kost. Dem jungen Luther war die Taufe so am Herz gelegen, wie sie heute viele Freikirchen gern verstehen: als eine kompromisslose Glaubenstaufe. Keine Taufe ohne Glaube, kein bloßes Wasserritual, daran hat Luther immer festgehalten. Mit der Zeit hat sich aber Luthers Glaubensverständnis verändert zu einer Akzeptanz des Kinderglaubens. Damit hat sich auch sein Taufverständnis wieder stärker dem katholischen sakramentalen Verständnis angenähert. Heute sind wir Lutheraner den Katholiken im Taufverständnis näher als vielen evangelisch-freikirchlichen Glaubensgeschwistern. Eine wichtige Rolle dabei spielt seine Übernahme der Lehre des Augustinus von der Erbsünde. Eine Theologie, die wir heute nur sehr schwer bei Taufgesprächen vermitteln können und die nur noch sehr selten in Taufpredigten zu hören ist. Dabei ist es doch gar nicht so schwer zu verstehen, dass wir ererbte Schulden unserer Vorfahren abtragen müssen – aus verlorenen Kriegen, aus überzogenem Wohlstand, aus angeborenen charakterlichen Schwächen und einfach aus den "alten Adam" in uns.
Auch Luthers Lehre vom Säuglingsglauben ist heute schwere Kost, weil wir den aktiven, mündigen, sprachfähigen Glauben stark betonen. Luther geht davon aus, dass Glauben nicht erst einer prüffesten Verstandesreife bedarf, sondern schon in unmündigen Kindern vorhanden ist. "Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast Du eine Macht zugerichtet um Deiner Feinde willen!", haben wir im Psalm 8 gebetet. Kein Erwachsener kann so gut wie ein Neugeborenes unsere menschliche Bedürftigkeit nach Gottes voraussetzungslos schenkender Liebe zum Ausdruck bringen! Es ist ein positiv passiver, empfangender Glaube, der am Taufstein wirkt.
Die sperrigen theologischen Themen sind oft die interessanten und gesprächseröffnenden Themen, nicht eine bügelfrei abgebürstete Wellnesstheologie, die es allen recht und einfach macht.
Luthers Verfolgung der Wiedertäufer sei nicht geleugnet und auch nicht seine Skepsis gegenüber Judentaufen. Das sind Schattenseiten der Reformation, die wir in der Lutherdekade nicht unter den Tisch kehren können. Sie relativieren unser Heldenpathos und mahnen uns, die Taufe bei aller theologischen Leidenschaft nicht zum Anlass für Entzweiung zu nehmen.
Luthers Taufe wirft also auch Fragen auf. Vor allem aber erlaubt sie keine zu einfachen Antworten. Das ist auch unser Synodalauftrag: für komplexe Sachverhalte keine zu einfachen Antworten bieten. Doch macht uns Luthers und unsere Taufe auch gewiss: Ich bin getauft, ich steh im Bunde! Von dieser Gewissheit aus können wir flugs und fröhlich an unser Synodalwerk gehen.
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