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Predigt am Karfreitag im ökumenischen Gottesdienst in der St.-Peter-und-Pauls-Kirche Markkleeberg über die Sieben Worte Jesu am Kreuz
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Predigt am Karfreitag im ökumenischen Gottesdienst in der St.-Peter-und-Pauls-Kirche Markkleeberg über die Sieben Worte Jesu am Kreuz

Predigt vom 03.04.15 (Pfarrer Dr. Arndt Haubold)

Liebe Gemeinde,

kein Ereignis der Weltgeschichte hat die Christenheit so tief bewegt wie die Passion und Kreuzigung Jesu. Sie ist in Romanen nacherzählt und in unzähligen Gemälden dargestellt worden, sie ist in musikalischer Form, in Chorälen oder Passionen, komponiert worden, sie ist als heiliges Theater nachgespielt und auch als Film gestaltet worden. Auch die Satire hat vor ihr nicht haltgemacht. Keine Völkerschlacht bei Leipzig und kein elfter September in New York haben bei aller Dramatik dieses Nachempfinden erreicht.

Und doch ist das Geschehen für uns heute fern und nah zugleich, fremd und vertraut. Wir versuchen ihm jährlich etwas abzugewinnen, das uns besonders berührt. Das unschuldige Leiden Christi tritt uns in diesen Tagen natürlich besonders im Unglück von Seyne-Les-Alpes entgegen. Darüber habe ich aber  schon letzten Sonntag gepredigt und möchte das heute nicht wiederholen. Es ist auch etwas anderes, das uns in der Kreuzigung Jesu begegnet. Sie wird mit den politischen Begriffen Folter und Justizmord nicht ausreichend erfasst. Es ist ein religiös aufgeladenes Geschehen wie vielleicht einst die Zerstörung Jerusalems. Wir können das historisch rekonstruierbare Geschehen nicht von seiner Deutung als einem Handeln Gottes trennen.

In der Passionserzählung des Evangelisten Johannes, die wir gehört haben, spielen die letzten Worte Jesu am Kreuz eine zentrale Rolle. Die letzten Worte eines Verstorbenen sind für seine Angehörigen immer von besonderer Bedeutung. Sie werden wie ein heiliges Testament bewahrt. Das gilt im Familienkreis, und das gilt bei prominenten Verstorbenen umso mehr, weil diese Worte nicht nur den Angehörigen gesagt sind, sondern der Welt. Das trifft zu fürs Luthers angeblich letzte Worte „Wir sind Bettler, das ist wahr“ wie für Johannes Paul II. angeblich letzen Satz „Ich bin froh, seid ihr es auch!“

Das gilt vor allem aber für die berühmt gewordenen sieben letzten Worte Jesu am Kreuz. Eine heilige Zahl, mithin eine vollkommene Botschaft vom Sterben eines Christen. Der Komponist Heinrich Schütz  hat sie eindrucksvoll vertont. Vier von diesen sieben Worten kommen im heutigen Predigttext vor. Wir wollen diesen Worten jetzt nachgehen. Ich nenne sie alle sieben: Es ist (1.) der Verzweiflungsruf Jesu „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Es ist (2.) die Anrede an seine Mutter und seinen Jünger Johannes: „Weib, siehe, das ist dein Sohn!“ und „Siehe, das ist deine Mutter!“. Es ist (3.) die Fürbitte für seine Peiniger: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“. Es ist (4.) die Verheißung an den einen Mitgekreuzigten: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“. Es ist (5.) sein letztes Gebet: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“. Es ist (6.) der kurze Ruf: „Mich dürstet!“. Und es ist (7.) sein letztes Wort: „Es ist vollbracht!“

Man kann sich alle diese Worte unter der Folter der Kreuzigung kaum in Ruhe ausgesprochen vorstellen. Müsste Jesus nicht wimmern, schreien oder nur noch lallen? So gesetzt, wie sie uns literarisch oder musikalisch begegnen, sind sie natürlich verfremdet, von späterer Hand der Evangelisten aufgeschrieben. Es ist nicht der originale Tonfall am Kreuz, der uns hier entgegentritt. Wir könnten es im Originalton auch gar nicht aushalten. Doch ändert das nichts an der Bedeutung dieser Worte für uns.

Mit dem (1.) Verzweiflungsruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ erleben wir den sterbenden Jesus in aller seiner Menschlichkeit. Es ist der Verzweiflungsruf, den auch wir ausstoßen in ähnlichen Situationen. Ich habe am letzten Sonntag über das „Warum?“ vor der Schule in Haltern gepredigt. Hier ist es wieder. Die Frage „Warum?“ packt uns bei jedem schwer verständlichen Unglück oder Sterbefall. Es ist der verständlichste menschliche Notruf an Gott, und hier erleben wir Jesus in seiner Menschlichkeit. Und doch ist es keine atheistische Aussage: Gott hat mich verlassen. Noch im Gefühl der Verlassenheit wendet sich Jesus an Gott: Warum hast du mich verlassen? Sein Vertrauen ist noch nicht erloschen, dass Gott ihn hört. - Nun ist es aber in dieser Situation nicht nur ein menschliches Wort, sondern zugleich auch ein Zitat der Heiligen Schrift (Ps. 22,2). Wie kann ein unter Qualen Sterbender noch Psalmworte rezitieren? O ja, gerade in solcher Lage fallen einem Sätze ein, die sich einem eingeprägt haben. Wie gut, wenn wir dann noch Worte haben, die uns im letzten Augenblick tragen! Das ist der Wert von Bibelkenntnis, die heute ein seltener Schatz geworden ist. Diese Anknüpfung an die Heilige Schrift ist wichtig, weil Jesu Leiden Schrifterfüllung ist.

Das (2.) Doppelwort Jesu an seine Mutter und seinen Jünger Johannes „Weib, siehe, das ist dein Sohn!“ und „Siehe, das ist deine Mutter!“ zeigt zuerst das fürsorgliche Wesen Jesu. Es ist für mich einer der schönsten Choräle in Bachs Johannespassion, die wir gestern hier gehört und gesungen haben, in dem es heißt: „Er nahm alles wohl in acht / in der letzten Stunde. / Seine Mutter noch bedacht, / setzt ihr ein Vormunde. / O Mensch, mache Richtigkeit / Gott und Menschen liebe. / Stirb darauf ohn alles Leid, / und dich nicht betrübe.“ Mit letzter Kraft ordnet Jesus noch familiäre Beziehungen, setzt seiner Mutter einen Vormund ein und gibt ihr Verantwortung für seinen Lieblingsjünger. Das ist ein Appell an uns, dass wir „Richtigkeit machen“ und unsere Dinge vor dem Tod ordnen sollen, um ruhig sterben zu können. - Wir erleben hier aber auch die beziehungsstiftende Kraft des Glaubens. Keiner soll allein bleiben, Glaube stiftet neue Verwandtschaft und Gemeinschaft über den Tod hinaus. Das Patenamt unserer Kirche  ist ein Beispiel dafür geworden, wie Menschen Verantwortung für nicht unbedingt Verwandte übertragen bekommen. Du Pate bist jetzt dem Täufling wie Mutter und Vater. Aber überhaupt ist es wunderbar, wie viele Freundschaften und gute Beziehungen entstanden sind in den Kreisen der Gläubigen! Christsein heißt, eine Familie haben.

Das nächste (3.) Wort ist die Fürbitte Jesu für seine Peiniger. Das ist vielleicht das schwerste Wort Jesu am Kreuz! Wie kann man angesichts auszustehender unermesslicher Qualen noch um Vergebung für die Täter bitten und sie geradezu entschuldigen: „Sie wissen nicht, was sie tun!“? Das geht wohl nur, wenn einer Gottes Sohn ist. Und dennoch gibt es in der Nachfolge Jesu solche Kraftakte des Glaubens. Ich denke an den Besuch Johannes Paul II. im Gefängnis bei dem türkischen Attentäter Mehmet Ali Agca, der ihn zu ermorden versucht hatte und seine Vergebung für ihn, obwohl der Türke bis heute eine dubiose Persönlichkeit ist und auch über dem Attentat viele Fragezeichen bleiben. Vor wenigen Wochen gab die Deutsche Post eine Sonderbriefmarke zum 100. Geburtstag von Karl Leisner heraus, der 1944 im KZ Dachau von einem französischen Bischof zum Priester geweiht worden war und ein Jahr später an den Haftfolgen verstarb. Auf dieser Briefmarke ist ebenfalls ein Wort Leisners aus dem KZ zu lesen: „Segne auch, Höchster, meine Feinde!“.

Mit dem nächsten (4.) Wort wendet sich Jesus nach einem Dialog mit den beiden Verbrechern an seiner Seite dem Mitverurteilten zu, der sich zu ihm bekannt und bekehrt hat. Während der andere Jesus gelästert hatte, zeigt dieser aufrichtige Reue und Gottesfurcht, erkennt die Schuldlosigkeit Jesu und bittet ihn, er möge an ihn denken in seinem Reich. Es ist eine der dramatischsten Bekehrungen zu Jesus Christus in der extremsten Situation. Jesus verheißt ihm „heute noch“ die Gemeinschaft des Paradieses mit ihm! Eine starke Verheißung, denn der Mensch war nicht etwa besonders heilig, sondern durchaus ein todeswürdiger Verbrecher. Man könnte seine plötzliche Bekehrung natürlich auch kritisch als eine berechnende Wende im letzten Augenblick betrachten. Dennoch verheißt ihm Jesus das sofortige Paradies - wie einem heiligen Märtyrer. Wir haben am Ursprung der Jesusbewegung noch kein geordnetes kirchliches Verfahren der Heiligsprechung wie später. Hier wird uns im Angesicht des Todes die letzte Möglichkeit angeboten, uns zu bekehren, und das ist eine wichtige Botschaft Jesu. Es hat viele Menschen gegeben, die sich auf dem Sterbebett oder vor ihrer Hinrichtung noch aufrichtig zu Gott bekehrt haben.

Dann (5.) das Gebet, das höchstes Gottvertrauen ausdrückt: sich in Gottes Hände fallen zu lassen. „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Es ist die wichtige Phase des Loslassens, die wir aus dem Sterbeprozess kennen. Wir hängen an diesem Leben, an den Menschen, die wir lieben, an den Dingen, die wir geschaffen haben, an dieser Welt mit ihrer Schönheit, und die innere Freiheit des Loslassens zu finden, ist schwer, aber zum Sterben nötig. Mit diesen Worten  wünschte ich mir auch einmal, sterben zu können.

Schließlich (6.) das kurze Wort: „Mich dürstet“! Es ist die letzte Labung eines Sterbenden, ihm die Lippen zu befeuchten oder seinen Durst zu stillen. Wer einen Menschen im Sterben begleitet hat, kennt das. Hier aber ist mehr gemeint als der  kreatürliche Durst. Es ist all unser Durst nach Liebe, unsere Sehnsucht nach Anerkennung – wie wir nicht nur Hunger nach Brot haben, so auch nicht nur Durst nach Wasser. In diesem Wort fasst Jesus zusammen, was wir alle im Leben ersehnen und wo wir stehen: Wir sind voller Lebensdurst. - Jesus sagt das aber nicht nur, weil ihn dürstet, sondern er sagt es wiederum, um die Schrift zu erfüllen. Es ist wieder Psalm 22, in dem das Leiden eines Gerechten besungen wird, den Jesus zum Vorbild hat. Dort heißt es V. 16: „Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen.“ Deshalb sagt Jesus: „Mich dürstet.“ Weil er der nach der Schrift leidende Gottesknecht ist. Mit seiner Kreuzigung erfüllt Jesus Weissagungen der Schrift. Damit offenbart er sich als Gottessohn. Das schwer verständliche Geschehen erhält mit dieser Schrifterfüllung einen Sinn. Es geschieht, um die alttestamentliche Verheißung des Messias im Schicksal Jesu erfüllt zu erkennen. Ohne diesen Rückbezug wäre der Glaube an Jesus eine neue Religion in der Welt gewesen, so ist er die Weiterentwicklung des alten jüdischen Glaubens.

Und dann das letzte (7.) Wort: „Es ist vollbracht!“ Es ist  wohl das stärkste und zugleich schwierigste Wort Jesu am Kreuz. Wenn wir es vorlesen oder wenn es gesungen wird, wird an dieser Stelle eine Pause eingelegt. Es markiert den letzten Atemzug Jesu. Aber was heißt: vollbracht? „Vollbringen“ können wir eine Komposition, ein Gemälde, ein Buch oder ein anderes Meisterwerk, eine gute Tat, aber nicht unseren Tod und auch nicht unser ganzes Leben. „Es ist vollbracht!“, passt auf keinen Grabstein, es wäre Hybris. Jesus hat am Kreuz keine Tat vollbracht, er hat passiv ein Geschehen erlitten, auch wenn sein aktiver Beitrag das bewusste Erleiden ohne Ausweichen war. Vom Tod können wir höchstens sagen, es sei geschafft oder vorbei, aber nicht: vollbracht. Denn wenn es geschafft ist, können wir es nicht mehr sagen, und wenn wir es noch sagen können, ist es noch nicht geschafft. Hier kann „vollbracht“ nur bedeuten: Jesus hat die Leistung des Gehorsams gegen Gott im Sterben durchgehalten. Er hat das Opfer vollbracht, das Gott von ihm wollte. Vollbracht: Es ist ein Wort, das Gott vom Himmel zu dem Geschehen spricht, sein Schlusswort, keine menschliche Lebensbilanz.  

Liebe Gemeinde! Wie weit sind wir von diesem Geschehen entfernt, und wie nah tritt es uns doch! Da ist die Erinnerung an eigene Todesfälle im Familienkreis, die uns einholt. Da sehen wir Menschen vor uns, die vielleicht im Sterben liegen. Da ist noch immer das unbewältigte Unglück von Seyne-Les-Alpes. Da sind die Kriegsopfer vergangener Tage, die in Filmen immer neu beschworen werden, und die, die noch vor wenigen Wochen oder Tagen ermordet worden sind. Da ist auch die denkwürdige zweite Bestattung des englischen Königs Richards III. in dieser Woche nach 530 Jahren, die plötzlich ein ganzes Land bewegt hat. Manche Fragen bleiben offen. Und dann schauen wir zum Kreuz Jesu Christi und hören seine Worte widerhallen, so fern, so nah. Wir glauben, dass sie etwas mit uns zu tun haben. Es ist darin eine Kraft, die uns im Leben stärkt und im Sterben tröstet.

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Pfarrer Dr. Arndt Haubold
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