Predigt am Sonntag Okuli zu 1. Könige 19, 1-13, Auenkirche Markkleeberg
Predigt vom 07.03.21 (Pfarrer Frank Bohne)
Liebe Gemeinde,
Eine Standpauke müsste ich heute halten, wenn ich der Predigtordnung unserer Kirche folgte: Gegen Geldgier und Habsucht, wider die Unzucht und andere Schweinereien, gegen Lästerreden und dummes Geschwätz. Epheserbrief: Lebt als Kinder des Lichts.
Mochte der Predigttext sonst vielleicht passen… Seit März letzten Jahres passt vieles nicht mehr. Ausschweifungen sind gerade nicht unser Problem. Eher das Gegenteil: Niedergeschlagenheit und Enttäuschung, Wut und Verzweiflung haben sich breit gemacht. Wer könnte, würde davonlaufen. Auch christlichen Familien. Wen wundert's. (Gott wahrscheinlich nicht.) Da noch drauf hauen? Kanzelrede, getränkt mit Moralin? Manchmal hat auch ein Pfarrer dazu keine Lust.
Da berge ich mich doch lieber im Alten Testament. Der Lesung für heute. Die, denke ich passt. Zu uns. Und vielleicht hilft sie ja, wenn wir sie uns vors innere Augen holen...
In ihr ist einer davon gelaufen, weil er nicht mehr konnte. Nicht mehr wollte. Weit weg von allem. Ich rede von Elija. Der lebt im 9. Jahrhundert vor Christus, im Nordreich Israel. Bei aller Mühe, die er sich gibt, und augenscheinlichen Erfolgen, die er hat… Dann wendet sich doch alles gegen ihn. Er ist am Ende, müde, erschöpft. Er kann nicht mehr und will Gott den Auftrag hinwerfen. Aber hören Sie selbst:
Lesung 1. Kön. 19, 1-13
Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen. Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.
Die Geschichte greift weiter, als unser Bibel-Ausschnitt zeigt. Dieser Elia ist an einem Tiefpunkt. Dann an einem Schlusspunkt. Zuletzt an einem Wendepunkt.
Zunächst zum Tiefpunkt: War Elija zuvor der wackerer Kämpfer für den rechten Glauben, erleben wir ihn hier, wie er um sein Leben läuft. Die Zeiten, wo Gottes Gebot noch etwas galt, waren vorbei. Man huldigte nun auch anderen Göttern. Nicht mehr dem Gott, der Unterdrückte in die Freiheit führt. Nicht mehr dem Gott, der Brot und Wasser in der Wüste gab. Mochten sich seine Propheten den Mund noch so fusslig reden! Statt dessen wurden Baal und Aschera verehrt – die waren moderner. Sie standen für Wachstum, Wohlstand und Vergnügen. Es waren die Götter der Reichen. Jener, die genießen wollten. Und das konnten sie auch, denn man war inzwischen zu Geld gekommen. Dass nicht alle etwas davon abhaben konnten – Sorry! Aber so ist das Leben nun mal. Während die Kaufleute glaubten, alles gehe so weiter, bemerkten andere mit Sorge, wie es immer trockener wurde im Land, wie der Natur bei so viel Spaß der Saft ausging, und kein Regen mehr fiel. Gott, der Schöpfer, spielte einfach nicht mehr mit. Und als es dann dreieinhalb Jahre keinen Tropfen geregnet hatte, kippte die Stimmung: War an allem nicht die Regierung schuld? Hatten die nicht Wachstum gepredigt? König Ahab mit seiner Frau Isebel? In der allergrößten Not besann man sich auf Gott, der hatte doch schon mal aus aussichtsloser Lage geführt. Das war die Stunde des Elija, für einen kurzen Moment. In einem spektakulären Ereignis auf dem Karmel-Berg konnten sich alle überzeugen, wer Gott ist.
Die Masse tobte: „Der Herr ist Gott! Der Herr ist Gott!“ Und Elija konnte mit den falschen Propheten aufräumen. Eine blutige Abrechnung ...
Nach einem schlichten Gebet des Elija beginnt es tatsächlich zu regnen. Das Volk bereut - und atmet auf.
Aber wie das so ist mit der Reue: Wenn jeder erst zu Hause ist, sieht alles wieder anders aus. Die alten Kräfte formieren sich neu - und ändern die Methode...
Königin Isebel lässt Elija bestellen: Rate, wer am längeren Hebel sitzt. Und rate mal, wer warten kann: Du auf deinem Karmel-Berg, oder ich an der Spitze der Macht?
Leute wie du werden aus dem Weg geräumt. Da kannst du Gift drauf nehmen! Das Volk hat dich bald vergessen! Und dann wird abgerechnet. Mal sehen, wo dein Gott dann ist. Warum tust du dir selber und uns nicht den Gefallen, und entsorgst dich einfach selbst?
Elija ist erschüttert. Ihn befällt unglaubliche Angst. Denn er weiß: Im Grunde hat Isebel recht! Ihresgleichen bleibt im Sattel. So war es immer. Um das zu wissen, muss man nicht mal Prophet sein! Mag ein noch so großes Wunder für ein paar Tage die Schlagzeilen bestimmen. Und mag die Not auch beten lehren… Im Herzen ist keiner wirklich umgekehrt. Elija sieht sich gescheitert! Der Wortgewaltige, wunderkräftige Prophet klappt zusammen, und läuft um sein Leben. Bis an den äußersten Zipfel von Juda. Dort lässt er seinen Begleiter zurück. Denn keiner soll sehen, wie Elija am Tiefpunkt angekommen ist.
Der nächste Punkt, der liegt an jenem Ginsterbusch inmitten der Wüste. Wenn es nach Elija ginge, wäre dieser Strauch die Endstation, der Schlusspunkt seines Lebens. Ein Mensch, der sich in der Wüste unter einen Strauch legt, hat mit allem abgeschlossen. Elija hat das Leben satt. Ich kann nicht mehr, Herr. Lass mich sterben!
Erstaunlich, mit welcher Nüchternheit die Bibel ihre Größen im Glauben darstellt. Sie verschweigt die dunklen Stunden nicht. Ob bei Mose im Alten und bei Petrus im Neuen Testament. Und hier Elia: Der mutige Prophet sitzt zerbrochen unterm Strauch, erwartet gar nichts mehr.
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Kennst auch du solche Elija-Bilanzen aus dem eigenen Erleben? Das Gefühl, das alles umsonst war? Dass sowieso alles beim Alten bleibt. Dass man sich am liebsten nicht mehr rühren möchte? Gott einfach den Auftrag vor die Füße werfen… Soll der sich einen andern suchen, der es besser kann.
Elija-Bilanzen gibt es manchmal ganz in unserer Nähe: Da ist vielleicht der kontaktscheue, unscheinbare zurückhaltende Mensch. Vor Corona kam er ab und zu zum Gottesdienst. Machte äußerlich nicht viel her. Wer Spaß haben will, sucht sich andere Leute. Eines Tages fragt er sich: Was willst du noch in der Kirche, dieser Gemeinde? Wird überhaupt jemand bemerken, wenn du von der Bühne verschwindest?
Oder der Selbsttändige mit einem kleinen Laden, der Musiker, der Gastwirt, und der Gallerist … Von früh bis spät hat er geschuftet, sich eine Existenz aufgebaut, seine Steuern bezahlt. Dann kamen die Einschränkungen. Schließung. Wegbruch der Aufträge. Konsumiert wird weiter kräftig, allerdings bei Amazon. Auch die Nachbarn in seiner Straße: Er sieht's an den Mülltonnen. Die quellen über… Und weil für ihn keiner schreit, auch nicht die Kirche, weil er ein viel zu kleines Rad im Getriebe der großen Ökonomie darstellt, geht sein Laden vor die Hunde. Wovon soll er den Kredit bezahlen? Die Familie ernähren? Wartet in ein, zwei Jahren, wenn der Spuk vorbei ist, und wir alle wieder reisen können, auf ihn Hartz 4?
Im Herbst wird bei uns gewählt… Welche Perspektive entwerfen wir in diesem Land? Ein Ausgleich, ein Sozialvertrag, wenn die Zeit der Re-Finanzierung kommt? Oder tummeln sich jene, die dann wieder von „Eigenverantwortung“ schwafeln, weil es um Neu-Verteilung geht?
Das Gefühl, dass alles umsonst gewesen ist, treibt Menschen zur Verzweiflung.
Elija- Bilanzen: Manchmal sind sie uns näher, als wir denken. Manchmal gehören wir selbst zu ihnen. An solchen Punkten, an Schlusspunkten des Lebens, ist uns Elija wie aus dem Gesicht geschnitten. Er sitzt im Schatten des Ginsterstrauchs und wartet, dass alles vorbei ist. Und Gott? DER lässt diesen zerbrochenen Menschen nicht los. Gott sei Dank. Was Elija jetzt braucht, das ist Abstand.Langer Schlaf. Wie sehr ein durchgehender Schlaf auch Geschenk sein kann, wissen mit Sicherheit die Älteren. In tiefer Resignation kann Schlaf die Stärkung bringen.
In seinen Lebenserinnerungen schreibt Bischof Hanns Lilje über seine Inhaftierung in der Nazizeit, wie er sich auf die Zellenpritsche legen und fest schlafen konnte. Seitdem war er überzeugt: Auch Schlaf ist eine Form, Gott den Herrn zu loben.
Elija liegt unter dem Ginsterstrauch. Wirft seinem Herrn den Auftrag vor die Füße. Und Gott antwortet: Zunächst mit dem natürlichen Mittel des Schlafes. Doch dann beugt sich ein Bote Gottes über ihn und weckt ihn auf. „Komm, Elija, iss und trink!“ Im Hebräischen heißt es, der Engel Gottes rempelte ihn an. Elija bekommt Wasser und Brot. Die eiserne Ration zum Überleben. Dann legt sich Elija wieder schlafen. Fast scheint es, der Prophet ist der Patient einer Schlaftherapie. Als Elija ein zweites Mal geweckt wird, bekommt er vom Boten einen Auftrag: „Iss und trink, denn du hast einen weiten Weg vor dir!“ Wie stelle ich mir diesen Gottesboten vor? Einen mit Flügeln und Schweif? Eine leuchtende Gestalt? Mit Heiligenschein, dass es einem die Sprache verschlägt? Oder als schlichten Mitmenschen? Die Bibel schweigt an der Stelle über das Aussehen des Boten. Sie erzählt nur, dass Gott durch ihn handelt. Einer, der genau das tut, was Elija in dem Moment braucht: Stellt nur das nötigste hin. Bleibt in Reichweite. Drängt sich nicht auf. Führt erst recht keine Diskusssionen mit diesem angeschlagenen Menschen. Und wird doch genau so zum entscheidenden Gegenüber.
Der Ginsterstrauch ist nicht das Ende. Nicht der Schlusspunkt eines gescheiterten Lebens, sondern ein Neu-Anfang. Gott fängt die Seinen auf.
Der dritte Punkt, der Wendepunkt für Elija, liegt dann 40 Tagereisen weit in der Wüste. Nach Enttäuschung, nach Schlaf und Stärkung mit dem Nötigsten wartet auf Elija die Begegnung mit Gott. Solche Begegnung geschieht aber nicht von selbst. Ein Mensch macht sich auf. Will es wirklich wissen, nimmt dafür unglaubliche Strapazen auf sich. Es ist tatsächlich anstrengend, es kostet Überwindung, den Ort der Stille zu finden. In unserem Abschnitt werden dafür sogar gewohnte Sichtweisen Gottes überwunden. Gott ist nicht im Sturm. Nicht im Erdbeben. Und auch nicht im Feuer. Das ist für einen alttestamentlichen Menschen wirklich starker Tobak. Denn alles, was er von Gott denkt und weiß, wird damit durchkreuzt. Gott ist nicht im Spektakulären, nicht im Auffälligen, Wunderhaften. Gott begegnet in der Stille. Eine atemberaubende, anstrengende Stille. Gott teilt sich mit „in der Stimme verschwebenden Schweigens“, wie Martin Buber den Vers übersetzt. Da weiß Elija: Mein Gott ist da. Und dann wird er auch schon angeredet: „Was ist mit dir los, Elija?“ Da spürt er: Ich bin wirklich gemeint. Mein Gott hört mir zu. Und es bricht aus ihm heraus... Gleich zweimal hintereinander schüttet Elija sein ganzes Herz aus. Nicht, weil Gott es beim ersten Mal nicht verstanden hätte. Sondern weil dieses Ausschütten, dieses Klagen eine unbeschreiblich befreiende, reinigende Wirkung hat. Es tut gut, seinem Herzen Luft zu machen. So wird es offen für Neues.
Liegt darin das Wunder, frei zu werden von Resignation? Sich aufmachen und die Stille suchen. Sich aufmachen zu Gott. Und sich von Gott finden lassen.
Der Begegnung mit Gott dann auch nicht ausweichen: Selbst wenn sie anders ist, als ich erwarte… Wenn Gott mich fragt: Was ist mit dir los? Wie hast du gelebt? Was ist dir eigentlich wichtig…? Dann soll ich mir die Frage gefallen lassen. Ich muss keine Ausflüchte finden. Ich muss nicht mal Besserung geloben. Darf ausschütten, was mich belastet. Klagen und Schimpfen vor Gott - in der Stille - sind erlaubt. Dann werde ich - wie Elija - eine erstaunliche Entdeckung machen: Gott nimmt mich ernst. Gott nimmt dich ernst. Er wischt dein Leiden nicht einfach fort, sondern hört zu.
Für den Elija ist das zum Wendepunkt geworden. Der zerbrochene Mensch, der nicht weiter wusste, der sterben wollte, wird aufgefangen und von Gott zurück ins Leben gestellt. Gott hört das Klagen an. Aber er lässt sich auf keine Diskussionen ein. Was gewesen ist, ist gewesen. ER ist kein Gott für Vergangenheitsbewältigung. Sondern ein Gott für Zukunft. Er hat für Elija einen neuen Auftrag: „Geh und salbe Hasael zum König von Damaskus…!“ Ein politischer Auftrag. Politischer geht es nicht. Da sage noch einer, Glaube an Gott und Politik hätten nichts miteinander zu tun… Elija schickt Gott dorthin zurück, wo er hergekommen ist. In den Alltag seiner Zeit und Welt. Denn eine andere Welt, Gott zu dienen, gibt es für Elija nicht. Elija soll gestalten. Und wenn nicht mit Israels König, dann eben mit seinem erbittertsten Gegner…
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Eine andere Welt, um Gott zu dienen, gibt es auch für uns nicht. Mögen uns einflusreiche Leute immer wieder den Eindruck vermitteln, christlicher Glaube habe etwas mit dem Jenseits zu tun. Nicht nur… Mögen spirituelle Gruppen sich noch so sehr mit geistlichen Übungen befassen. Gott sieht es anders. Der Weg, IHM zu dienen, könnte politischer sein, als uns lieb ist. Wer in Gott und in Christus eintaucht, soll sich nicht wundern, wenn er neben den Armen und Geschundenen wieder auftaucht…
Gott ruft in die Stille. Gott redet uns an und fragt: Was ist eigentlich mit dir los? Und dann gibt ER uns seinen Auftrag. Denn ER hat diese Welt noch längst nicht aufgegeben.
Okuli nostri ad dominum nostrum – Unsere Augen seh'n stets auf den Herren...' - das würde ich heute am Sonntag Okuli („Augen“) gern mt Ihnen singen. Die Konfirmanden kennen den Ruf aus ihrer Andacht.
Augen, die auf den Herrn sehen, denen wird Leid und Enttäuschung oft nicht erspart. Aber diese Augen werden auch am Tiefpunkt Gottes Nähe schauen. Die Stimme verschwebenden Schweigens vernehmen. Augen, die auf den Herrn sehen, werden uns führen zu den Menschen, die - wie du und ich - versagen und zu Boden gehen. Um ihnen beizustehen...
Wirst du für mich, werd' ich für dich dann auch der Engel sein ?
Frank Bohne
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