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Predigt am Sonntag Okuli zu Lukas 9, 57-62 in der Auenkirche Markkleeberg
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Predigt am Sonntag Okuli zu Lukas 9, 57-62 in der Auenkirche Markkleeberg

Predigt vom 15.03.20 (Pfarrer Frank Bohne)

Liebe Gemeinde!

Es gibt Predigtworte, die machen uns Schwierigkeiten beim Verstehen, selbst wenn wir sie mehrmals lesen. Und es gibt andere, die bereiten uns Schwierigkeiten, gerade weil wir sie verstehen. Ich möchte mich ihnen entziehen, mich verweigern, gerade weil ich ahne, was mir darin abverlangt wird. Das Evangelium für heute gehört wohl zur letzteren Gruppe.

Bei Jesu Worten über die Nachfolge erschrecke ich. Sind sie nicht eine Zumutung? Was Jesus da von den drei Männern verlangt, das klingt ziemlich radikal. Und doch, auf frappierende Weise erinnern sie mich auch an meine Jugend: an die eigene Sturm–und–Drang–Zeit als 16-, 17jähriger in der Jungen Gemeinde: Nachfolgen. Alles hinter sich lassen, ohne zurück zu schauen.

Es war tiefste DDR–Zeit, und wir hielten zusammen. Hielten Themenabende reihum. Gemeinschaft, das war nicht bloß ein Wort… Das Leben war spannend, eine sehr intensive Zeit. Wie Schule oder Lehre eigentlich liefen, weiß ich nicht mehr. Irgendwie nebenbei. Das Herz schlug ganz wo anders: bei den Dingen, die wir miteinander unternahmen. Bei den Rüstzeiten, den Treffs und selbst gestalteten Jugendgottesdiensten, den kritischen Theaterstücken irgendwo unterm Dach und den Liedermacherkonzerten, die wir besuchten. Das Herz schlug vollkommen in der Freizeit. Doch was hieß „Freizeit“? Das war das eigentliche! Dort war die Botschaft. Die Wahrheit, präzise und klar. Das, worum es ging… Der Rest war dazu da, das nötige Kleingeld zu bekommen, das andere zu ermöglichen. Bis mancher unter uns …  andere, private Interessen entdeckte, die Gruppe in Pärchen zerbröckelte… Ich erinnere mich noch, wie einer der Freunde ausstieg: Es wurde ihm zu viel, die wöchentlichen Treffs, dazu die Aktionen an den Wochenenden. Seine Eltern schimpften. Und er selber wollte auf Arbeit lieber mehr Überstunden machen. „Ich möchte‘ was verdienen, will mir was leisten.“, sagte er. Motorrad und Stereoanlage. Das Zimmer ausbauen, Irgendwann vielleicht ‘nen gebrauchten Trabi… Die Diskussion, die wir führten, atmete etwas von der Radikalität in unserem Abschnitt. Was war denn Leben? „Raffe, schaffe, Häus'le baue …“? Oder den Geist der Freiheit spüren, wie Jesus ihn beschrieb?

Folge mir nach…
Die Füchse haben Gruben und die Vögel ihre Nester…
Doch lieber kein Nest haben als im Wohlstand versauern.
Sollen doch die Toten ihre Toten begraben…“

Die Gedanken von damals – und die Unerbittlichkeit, wie ich sie vertrat - sind zum Großteil vergangen. So wie das Haar der Jugend bei mir längst vergangen ist.

Heut denk ich anders. Heimatlosigkeit, Ruhelosigkeit, nicht zurück sehen, das ist nicht mehr mein Programm. Denn da habe auch ich inzwischen zu viele „Radikalinskis“ erlebt. Leute, die wie blind den eigenen Zielen folgten. Mir kommen die Fanatiker von Funktionären in den Sinn, die für die Verbesserung der Welt in ihrem Sozialismus andre über die Klinge springen ließen… Ich denke an Aussteiger – nach der Wende – die nicht nach andern fragten und manches Problem über die eigene Familie brachten. Und an Leute, die in sektenhaften Freikirchen ihr Heil zu finden meinen. Auch das meist auf Kosten anderer. Nein, das ist nicht mein Weg!

Selbst wenn ich mir den einen oder andern Tag im Kloster mit all den schönen liturgischen Gebeten vorstellen kann, auch das habe ich probiert. Zum Mönch oder Eremiten tauge ich wohl nicht. Ich will nicht flüchten aus der Welt. Da ist sie viel zu schön. Ich mag dieses Entweder – Oder nicht. Dieses „Schwarz oder Weiß“. Da lob ich mir die Farbe Grau.

In unserm Predigtwort von Jesus und den drei Leuten klingt es zunächst so, als fordere Jesus von ihnen - und von uns - blinden Gehorsam. Das musst du glauben. Das musst du machen, wenn du hier dazugehören und ein guter Christ sein willst.“  Fast so wie früher - beim Kinder erziehen: „Du musst gehorchen! Gegessen wird, was auf den Tisch kommt! Keine Widerrede – sonst kracht's ...!“

Was herausgekommen ist bei all dem autoritären Mist, bei der Unfähigkeit zum offenen Diskurs, das hat gerade unser Land mit zwei Diktaturen leidvoll erfahren. Und mir scheint's, wenn ich an manche Landstriche im Osten denke, dass es noch immer nicht überwunden ist. Dieses entweder – oder. Dieses Schwarz – oder Weiß. Nein, ich denke nicht, dass Jesus so autoritär von uns blinde Gefolgschaft verlangt. Und ich nehme diese Zweifel aus unserm Abschnitt selbst. Denn von keinem der Drei, denen Jesus die harten Worte zumutet, heißt es am Ende, sie hätten das Geforderte auch getan. Weder hat der Eine sein warmes Nest mit der Obdachlosigkeit der Straße vertauscht, noch der Zweite den toten Vater einfach liegen lassen. Und dass der Dritte ohne Abschiedswort von zu Hause weggegangen wär‘, auch davon erfahren wir nichts!

Die drei Typen taugen als Beispiel nicht. Weder als Versager noch als Vorbild eines echten Glaubenshelden. Was wir allerdings erfahren, das ist etwas über Christus: Als der Erste anbietet, ihm zu folgen, da erinnert Jesus an seinen eigenen Verzicht. Verzicht auf alles, was uns Menschen heilig ist. Die Sicherheit der Familie, ein Rückzugsort, all das liegt weit in Nazareth zurück. Vor ihm liegt die Schutzlosigkeit der Straße. Und die führt nach Jerusalem. ER will schutzlos sein, denn sein Zielpunkt ist das Kreuz. Wenn ER da ankommt am Kreuz, dann wird es selbst zum Zufluchtsort. Für andere.  Zur Heimat für die Heimatlosen, zum Ort der Geborgenheit für alle, die zerbrochen und gescheitert sind. Also auch für Leute wie dich und mich. Als Jesus den Zweiten ruft: „Komm und folge mir!“, da entgegnet dieser: „Lass mich zuvor…“ So ein „Lass mich zuerst...“ spricht Bände. Es rückt Jesus auf den zweiten Platz. Denn auf Platz 1, da ist die Religion. Den eignen Vater zu bestatten, das ist hochheilige Pflicht für jeden Juden und es ging allen anderen Gebote vor. Wenn Jesus sagt: Lass die Toten ihre Toten begraben!, dann spricht daraus sein Anspruch: Was ich dir biete, das ist jenseits aller Religion. Kein Gerüst zur Vergewisserung, und um dich selbst zu finden. Statt dessen Beziehung. Beziehung zu mir. Wähle also, ob du das willst. Und als der Dritte kommt, der erst Abschied nehmen will, da verweist ihn Jesus auf nichts Geringeres als auf das Himmelreich.  Geschickt sein zum Reiche Gottes. Wer ihm vertraut, der wird es finden.

So geben mir die Antworten von Jesus, die wir heute als so hart empfinden, nicht vordergründig Auskunft über uns, was wir tun und lassen sollen. Sie sagen etwas über IHN. IHM, dem schutzlosen Christus, der ans Kreuz geht, dessen Anspruch auf uns weit über alle Religion, über alle Sicherheit, die wir uns bauen wollen, hinausreicht. Und der nichts Geringeres als das Himmelreich in Aussicht stellt. Dem sollen Menschen folgen. Und ER stellt tatsächlich vor eine Entscheidung: Willst du mir Glauben schenken, mir vertrauen? Das heißt in den Evangelien „nachzufolgen“. Es meint, ihm hinterher zu laufen, seinen Spuren folgen. Solches „Nachfolgen“ macht uns aber noch längst nicht zu seinen „Nachfolgern“. „Nachfolger“ - das ist ein gefährliches Wort. Wir kennen das aus der Wirtschaft und der Politik. Ein Nachfolger setzt sich an Stelle seines Vorgängers. Doch dazu sind unsere Fähigkeiten viel zu klein. Darauf aus zu sein, uns als seine „Nachfolger“ aufzuspielen, das muss zwangsläufig nur zum Scheitern führen. Oder wie es Luther mal wieder drastisch ausdrückt: wir müssten ärschlings in die Hölle fahren“. Sein wollen wie Jesus, das muss dann auch für andere zur Hölle werden.

Nein, was angesagt ist, das ist, ihm hinterher zu gehen, seinen Spuren zu folgen. Imitatio Christi - wie es die Frömmigkeit der Klöster nannte. Nachahmung des Herrn. Nichts anderes rät auch der Apostel den Geschwistern in Ephehsus. Wir haben es in der Epistel (Epheser 5) gehört: Ahmt Gott nach... Dabei weiß ich sehr genau: wer nachahmt, imitiert, der wird das Original, nämlich Christus, nie erreichen. Auch nicht das, was Christus in der Geschichte zu den drei Männern sagt.Und doch will ich noch einmal auf die drei Gespräche schauen. Vielleicht können sie uns ja zeigen, wie unsere Beziehung zu diesem Christus derzeit beschaffen ist. Nicht: Haben wir schon Haus und Hof verscherbelt, und sind genau so schutzlos wie ER? sondern: Sind wir überhaupt noch zu IHM auf dem Wege? Bin ich bereit, mich auszusetzen, meine Art zu glauben zu verändern, gegebenenfalls auch von IHM korrigieren zu lassen? Die Geschehnisse der letzten Woche in unserem Land rund um Corona sind schon verstörend: Was heißt es derzeit, verantwortlich als Christ in diesem Land zu leben? Auch als Gemeinde? Ich habe nicht die passende Antwort parat, wie manche Experten. Ich setze als Predigender nur Worte und ein paar Fragen: Ist ein Kirchgang derzeit eher gefährlich? Also: Alle Türen zu! Bleibt zu Hause, hört Nachrichten, was alles noch kommt. Es kommt noch schlimmer... Oder doch hier zusammen an einem Ort? Nicht leichtfertig. Sondern verantwortlich, und mit hygienischer Sorgfalt: Ohne Handschlag am Eingang und Ausgang, Sitzen mit Abstand, kein Abendmahl, die Bücher liegen und bleiben am Platz, um Handkontakt zu vermeinden...

Wir haben gestern als Geschwister im Kirchenvorstand (Markkleeberg-Ost) darüber gerungen. Geht das, Gemeinde sein, wenn wir uns überhaupt nicht mehr begegnen? Wir haben uns dem Aufruf aus dem Landeskirchenamt vorerst nicht angeschlossen. Gottesdienst soll sein. Solange Gaststätten noch offen sind, sich Leute im Schwimmbad und der Sauna tummeln, zum Shoppen - weil die Kinder schulfrei haben - in die Großstadt fahren, soll wenigstens das hier sein. Für die, die es wollen und brauchen wie das täglich Brot. 50 min ein anderes Programm: Vom Horizont der Liebe Gottes hören. Festhalten an IHM, komme was mag. Singen und beten, auch für dieses Land. Und zwar als Gemeinschaft unter seinem Wort. Veranstaltungen und Kreise stellen wir ein, folgen dem Beispiel der Schulen. Schon das wird uns erheblich verändern. Unsern Glauben.  Wie werden wir Karfreitag begehen? So ganz ohne vertraute Chormusik? Und Ostern ? – Ohne Osterfrühstück, ohne Familiengottesdienst, vielleicht nur kleine Andacht-Runden…? Das wird alles sehr anders als sonst.

Die wichtigste Frage wird sein. Spüren wir, dass wir mit IHM, unserm Herrn, noch auf dem Wege sind? Daran hängt alles!

Denn die Füchse haben ihre Gruben und die Vögel ihre Nester. Die Schnecken den Schleim, auf dem sie kriechen, und ihr Haus, in das sie sich verziehen.

Unser Glaube ist anders. Leben bleibt riskant. Glauben auch.

Im zweiten Gespräch, da kann ich entdecken, was der Unterscheid ist zwischen Christus-Glauben und Religion. Sind Christus, und die Beziehung zu IHM noch auf Platz eins? Oder ist der Glauben erstarrt zum Korsett einer Religions-Gemeinschaft? Zur öffentlich-rechtlichen Gebiets-Körperschaft, die manches tut oder eben nicht tut ... Verschanzen wir uns im Fuchsbau der Institution? Im warmen Nest, wo wir manchmal fromme Ideen ausbrüten, die mit der Welt um uns herum aber nicht mehr viel zu tun haben? Vielleicht werden wir innerlich auf die Knie gehen müssen und beten: „Herr, du bist der Schöpfer dieser Welt. Wir wissen zurzeit keine Antwort, aber du. Du hast es zugelassen, auch dieses winzige Virus bleibt dein Geschöpf. Nun komm und zeig uns, wie wir damit leben sollen! Wie wir auf die Ängstlichen und die Kranken zugehen sollen, damit sie spüren und nicht irre werden: Du bist da! Und auch wie wir manche Tränen trocknen können.  Sei du selber auch dort und nimm die Geschlagenen in deine Arme!“ So sieht er vielleicht aus, mein Glaube, für die nächste Zeit. Ein Beziehungs-Glaube, der sich auch erschüttern lässt.  Nicht, weil es schön ist, wenn er über den Haufen fällt. Sondern damit ich spüre, wo für mich die Heimat, wo letztlich Geborgenheit ist: bei IHM, bei seinem Kreuz.

Das dritte Gespräch von Jesus, das weist uns auf das große Ziel unseres Lebens. Auf das, was das bei Gott noch auf uns wartet. Geschickt zum Reiche Gottes. Da sollen wir hin. So kann es hilfreich sein, im Leben nicht immer zurückschauen zu müssen. In schwieriger Situation kann es sogar Leben retten. Am Ende einer destruktiven Beziehung zum Beispiel, aus Verhältnissen, die einen selbst und andere zerstören. Rückschau kann da lähmen. Wer nur zurückschaut, nicht loslassen kann, der wird wie Lots Weib, zur Salzsäule erstarrt. Was Zurückschauen und Festalten bedeutet, das haben wir im Strukturprozess letztes Jahr schon schmerzhaft erlebt. Was es heißt, wenn die Kräfte kleiner werden. Da ist Verantwortung vor dem, wie Generationen vor uns geglaubt, wie sie Zeugnis von Christus gegeben haben. Auch was sie vor Ort erreicht und aufgebaut haben. Muss das nicht alles so bleiben? Es war doch so schön. Manchmal ist es nicht die Institution Landeskirche, der wir an allem die Schuld geben müssen. Manchmal ist es auch unsere Angst vor einer ominösen Gemeinde. Einer Gemeinde, die immer angeführt wird, ansonsten aber nirgends auftaucht:

„Das können wir doch nicht machen, das trauen wir uns nicht. Da ist was los, da treten Leute aus…!“

Halte was du hast, dass keiner deine Krone nehme….

Dass dir keine Perle aus der Krone falle…

Auch als Gemeinde will das Loslassen gelernt sein. Loslassen von Sicherheiten, von Gewohntem. In manchen Kirchgemeinden vielleicht auch von manchem Salpeterhaufen der Geschichte, der zum Klotz am Bein geworden ist… Dabei darf ich wissen: Das Gottesreich beginnt für uns nicht erst am Ende der Furche, die wir ziehen. Es beginnt sondern schon hier und jetzt, über mancher Veränderung. Da wo wir die Hand anlegen und Aufbruch wagen, wo die Sehnsucht nach dem Horizont in uns geweckt wird. Wir sollen ihm nachfolgen, sagt Jesus. Das mag radikal klingen, und das ist es auch. Es ist ein Prozess, dem wir uns stellen müssen, ein Leben lang. Nicht immer ist er schmerzhaft. Gott sei Dank!  Manchmal ist er auch erfreulich. Wenn ich merke, in was für einer Gesellschaft ich mich dabei befinde, wem ich da alles begegne. Manchmal auch: wieder begegne. Dem Freund zum Beispiel, mit dem ich mich einst fast bis auf’s Messer stritt. Den führte derselbe Herr in den Kirchenvorstand, und in den Elternrat vom evangelischen Kindergarten. Und ich war dankbar, ihn beim Besuch in der alten Heimat getroffen zu haben, im Gottesdienst.

Und der Friede Gottes, der mehr umfasst, als wir verstehen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

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Pfarrer Frank Bohne
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