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Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag zu Matthäus 1,18-25, mit Bild „Traurige Maria“
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Predigt zu Matthäus 1,18-25 mit Bild „Traurige Maria“, Auenkirche Markkleeberg

Predigt vom 26.12.20 (Pfarrer Frank Bohne)

Die Glocken der Martin-Luther-Kirche laden Sie ein zum Gebet.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde!
Wie stellen Sie sich Maria vor, am Tag nach der Entbindung, mit den Jesuskind im Arm? Bei alten Krippendarstellungen wird sie oft in sich versunken gezeigt, liebevoll, innig blickend auf ihren ersten Sohn.
Die großen italienischen Barock-Meister stilisieren sie als Madonna mit Heiligenschein, ihr Antlitz und das von Jesus sind meist die hellste Stelle im Bild, die regelrecht herausleuchtet - auf den Berachter zu. Die Romantik entwirft sie als glückliche Mutter. Mit einem milden Lächeln. Ein Vorbild an Courage. Demütig hat sie geschultert, was der Engel ihr vor 9 Monaten aufgetragen hat:
„Du wirst schwanger werden vom heiligen Geist und einen Sohn gebären...“
Bei solch einer „Auszeichnung“ – sie, die Gebenedeite unter den Frauen – bleibt ja eigentlich nur ein dankbares Lächeln übrig, das Maria zu verströmen hat. „Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagst hast...“
Wie anders ist da die Darstellung, die Sie jetzt in Händen halten.

Ich habe sie in einer theologischen Zeitschrift ** entdeckt. Es ist eine sehr alte Darstellung der Maria, auf einem Glasfenster der St. Johanniskirche
Herford in Westfalen. Licht geht von Ihrem Angesicht auch aus. Der Betrachter wird geradezu dahin gezogen.
Aber ihr Gesicht, das verrät mir: Diese Maria ist ganz schlecht drauf. Sie zieht, würde man salopp bei uns sagen, eine ziemliche Fläppe. Eine glückliche Mutter, ja die Gottesmutter mit dem Retter der Welt im Arm,
sollte anders aussehen…
Doch schauen wir etwas genauer hin: Der schwarze Streifen in der Mitte ist die Metallstrebe aus dem Gerüst des großen gotischen Fensters. Original ist er noch breiter, ich habe versucht ihn etwas schmaler zu machen, und ich habe die Brillianz des Bildes nicht so aufs Papier gebracht, wie ich es mir gewünscht hätte. Eigenlich ist es etwas heller, hat einen roten, warmen Ton. Maria steht, den Blick nach links unten gewandt, und hat das Jesuskind als kleines grünes Bündel im Arm. Das neugeborene Kind hat den Blick erhoben und schaut ins
Gesicht seiner Mutter. Jesus hat einen goldenen Heiligenschein um den Kopf. Marias Kranz - in Blau wie das
Band und ihr Kleid - fällt kaum auf. Doch sie trägt eine Krone und wird damit als Himmelskönigin ausgewiesen. Links und rechts ist sie von einer Girlande aus abwechselnd weißen und roter Rosen umgeben. Es ist ein Ros entsprungen... Da haben die Dornen Rosen getragen... Alt-ehrwürdige Weichnachtslieder lassen grüßen.
Weiße und rote Rosen. Weiß – die Farbe Gottes. Rot – die Farbe des Menschen. In vielen Weihnachtsbildern finden wir diese beiden Farben in der Nähe von Christuskind und Maria: Manchmal sind es Windel und Gewand. Hier sind es die Blumen. Gott und Mensch – bei der Christgeburt sind sie vereint. Aber von den Proportionen her steht in diesem Bild eindeutig Maria im Mittelpunkt, nicht das Kind. Das wirkt in ihren Armen beinahe unscheinbar. In diesem Bild geht es vor allem um Maria.
Die Fenster-Front, in der sich das Bild befindet, ist traditionell aufgebaut. Links und rechts dieses Ausschnitts werden Ornamente und Stifter-Wappen gezeigt. Weiter oben folgt eine Kreuzigungsgruppe. Alles wie in vielen anderen mittelalterlichen Glasfenstern jener Zeit. Nur die Maria ist anders. Ihr Gesichtsausdruck. Was hat ihr die Laune nur so verhagelt? Immerhin ist Weihnachten, das allererste seiner Art, und sie hat sichtbar
Gottes Sohn auf dem Arm…
Aber bleiben wir zunächst noch bei uns. Wie sind Sie – Laune-technisch – gerade beieinander? Heute morgen..., zu diesem Weihnachtsfest? Eine die Herzen erwärmende Zeit – sonst. Haben sich bei Ihnen die Mundwinkel in den letzten Wochen ähnlich weit gesenkt wie bei dieser Maria? Manchmal helfen da auch keine Lach-Klammern mehr, um ein christliches Lächeln zu erzeugen. Sind Ihre Lachfalten tiefen Sorgen-Furchen gewichen?
Letztes Weihnachten, Last Christmas… da hatten wir keine Ahnung, was auf uns zukommt: Wuhan, jenes Wort mit C... Erste Meldungen. Bitte keine Panik, das wird wie eine Grippe. Dann die Bilder aus Italien, der erste Lockdown. Ostern ohne Gottesdienst. Dann zaghafter Neubeginn, ein leichtsinniger Sommer, ein
bedrückende November. Grade Sachsen ist in eine gefährliche Lage geraten, das öffentliche Leben zurückgefahren bis aufs Notwendigste.
Es ist Weihnachten. „Freue dich, o Christenheit…!“
Ich weiß es. Doch es hilft nicht. Und auf einmal geht es auch mir wie dieser Maria…
Um 1350 wurde das Bild gemalt. Auch jenes 14. Jahrhundert war eine Zeit großer Krisen. Drastische Klimaveränderungen sind überliefert. Ein Kälteeinbruch, der für Generationen blieb. Sturzfluten und Überschwemmunen, die unsere Breiten bis dahin nicht kannten. Missernten, Hunger und Elend. In manchen Gegenden wurde der Obst und Weinanbau für immer aufgegeben. Dazu wütete quer durch Europa die Beulenpest. Geschätzt ein Drittel der Bevölkerung wurde hinweg gerafft. Viele Dörfer verschwanden von der Landkarte. Eine schwerwiegende Wirtschafts- und Finanzkrise folgte. In den großen Münzkabinetten
- wie im Grünen Gewölbe in Dresden - lässt sich das bis heute in den wertlosen hauchdünnen Blech-Geldstücken jener Jahrzehnte (sog. Brakteaten) ablesen. Eine Wirtschafts- und Finanzkrise...
Die Menschen jener Zeit hatten wenig Grund für gute Laune. Keinen Anlass, fröhlich und ausgelassen zu feiern, vermutlich auch nicht zu Weihnachten. Und wenn ich gleich dreimal weiß: Gottes Sohn ist Mensch gebor'n...
Und Maria selbst? Was ist denn wahrscheinlicher: Die lieblich lächelnde Heilige, oder eine Muttergottes, die schlecht drauf ist und eine Fläppe zieht? „Bedauernswert die Frau, die einen Mann aus Nazareth bekommt.“ sagt ein jüdisches Sprichwort von vor über 2000 Jahren. Nazareth war arm und abgelegen. Maria lebte in
diesem Arme-Leute-Kaff in den Hügeln Galiläas. War sehr jung, und verlobt mit Josef, einem deutlich älteren Mann. Dann kam jener Engel und warf ihre Lebensträume von einem kleinen bescheidenen Glück über den Haufen: „Du wirst schwanger!“ Von Gott, ja. Doch wie war die Schande eines vorehelichen Kindes zu vermitteln, in der Großfamilie, in der Nachbarschaft einer?
Auch Josef war das nicht geheuer. Er wollte sie zwar noch heiraten, um sie zu schützen, aber dann sie doch heimlich verlassen. Auch für ihn wird ein Extra-Engel nötig, damit die Menschwerdung Gottes nicht aus dem Ruder läuft. Vielleicht war es ja noch eine Fügung in der ganzen Misere, dass die Geburt nicht zu Hause vor den Leuten einer Kleinstadt, sondern irgendwo unterwegs zu jener Volkszählung geschah! Man war dann mal weg, und dann war das Kind halt da...
Und dann war da noch jener alte Kauz: Simeon im Tempel. Das Kind hob er in den Himmel. Aber sie, Maria, durch ihre Seele würde ein Schwert dringen, hatte er gesagt.
Bei all dem sollte einem normalen Menschen wohl die gute Laune schwinden. Für Maria gibt es hundert Gründe, missgelaunt zu sein. Jenem Glasmaler aus dem 14. Jahrhundert stand eine traurige Maria wohl näher als
eine huldvoll lächelnde. Sie schien ihm das Angemessene sogar auf einem Kirchenfenster! Und auch der Auftragggeber, der dafür etliche Gulden bezahlt haben dürfte, fand daran keinen Anstoß.
Ja, auch die Gottesmutter kann und darf sich grämen. Eigentlich müsste dieser Gesichtsausdruck auf weit mehr Bildern zu finden sein…
Das Feierliche an Weihnachten - ja manchmal wohl auch das Betulich-Kitschige - interessierte jene Glaubensgeschwister vor knapp 700 Jahren wohl nicht so sehr wie uns. Dafür aber etwas ganz anderes: Jene traurige Gottesmutter ist trotzdem Himmelskönigin geworden. Trotz zermürbender Umstände, trotz all der beschwerten Gefühle. Es fällt am Ende nicht ins Gewicht, wenn der Mensch vor Gott steht. In seinem Reich, in
seiner Ewigkeit.
Und das liegt an diesem kleinen grünen Bündel Hoffnung in ihren Armen. Das ist ja auch noch da, das Christuskind! Der Gottessohn kommt in eine raue Wirklichkeit. Gott macht sich klein, will bei den Menschen sein: Im jüdischen Lande zu Zeiten eines gefährlich-korrupten Herodes. In den Krisen- und Pest-geschütteten Zeiten jenes mutigen Glasmalers. Und nicht weniger in unseren so veränderten und sorgenvollen
Tagen.
Christus mutet seiner Mutter etliches zu. Darüber besteht kein Zweifel. Wenn er heranwächst: manche Peinlichkeit vor den Leuten, wenn er zu predigen anfängt in Nazareth. Wenn er dann einfach fortgeht und Josefs Tischlerei samt Familie den Rücken kehrt. Wenn er sich anlegt mit den Mächtigen, wenn er schließlich leidend scheitert und zerbricht, am Kreuz auf Golgatha. Alles unendlich traurig. Eine Zumutung für eine Mutter.
Aber dann doch eben auch: Rettung, Hoffnung, Leben. Alles wird neu! Die Frauen am Grabe, unter ihnen wieder Maria, sie werden die Ersten sein!
Für sie, die traurige Maria, wurde dann Platz gemacht. Ein Ehrenplatz in der christlichen Gemeinde, unter den Aposteln. Sie ist seither immer dabei. Auch jetzt, hier bei uns. Nicht immer bewusst, aber sie ist dabei. Dafür muss man nicht mal katholisch sein. Uns reicht das Glaubensbekenntnis, das für sie in einer Zeile einen ewigen Platz bewahrt: „Geboren von der Jungfrau Maria“.
Wie sie drauf war - ob traurig oder froh - steht nicht dabei. So wie es auch nicht dabei steht, welchen Gemütszstand wir haben sollen oder müssen, wenn es weiter unten um uns geht:
Ich glaube den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden und die Auferstehung der Toten.
Gesegnete Weihnachten! Amen.


** Das Bild/Foto der Glasmalerei um 1350 in der St. Johannis-Kirche Herford ist entnommen dem Download-
Archiv der Zeitschrift „Pastoralblätter“, das für kirchlichen Gebrauch unentgeltlich heruntergeladen werden darf.
Anregungen zu dieser Predigt verdanke ich der Zeitschrift „Pastoralblätter“, darin besonders Gedanken von
Pfarrer Johannes Beer aus Herford.

 

 

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Pfarrer Frank Bohne
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