Predigt am Karfreitag im ökumenischen Gottesdienst in der St.-Peter-und-Pauls-Kirche Markkleeberg über 1. Kor. 1,17b
Predigt vom 22.04.14 (Pfarrer Dr. Arndt Haubold)
Wir leben in einem Land, aus dem die Kreuze verschwinden. An vielen Stellen haben wir sie still und leise entsorgt, und kein Aufschrei der Kirche ist erfolgt. Das Marterzeichen soll uns nicht mehr belasten, bedrücken oder stören in unserer Wohlfühlgesellschaft. Aus Klassenzimmern und Gerichtssälen haben wir die Kreuze verbannt, als hätten sie einen Haken. Für die Kinder halten wir es nicht für gut, ein solches Gewaltsymbol zu zeigen, weshalb wir lieber lustige Jesusbilder verwenden (obwohl wir den Kindern im Fernsehen umso reichlicher Gewalt zumuten). Die christliche Devotionalienindustrie ist längst umgestiegen von Kreuzen zu Fischen und Tauben, Sternen und Engeln, schönen Madonnen und betenden Händen. Auch auf den Einbänden von Kirchengesangbüchern und Bibeln, die einst Kreuze zierten, finden wir jetzt den Regenbogen oder die Lutherrose. Selbst die Bestatter zeigen auf ihren Annoncen kein Kreuz mehr, sondern lieber Weintrauben oder Segelschiffe oder Pusteblumen, gerade so, als wäre der Tod nur ein Urlaubsausflug. Die Todesanzeigen in der großen Leipziger Tageszeitung und sogar die Grabmäler auf unseren Friedhöfen sind von Kreuzen weithin befreit. Kaum einer von uns Evangelischen bekreuzigt sich noch im Alltag, die Katholiken gehen auch sparsamer damit um als früher, nur die Orthodoxen schlagen noch das Kreuz, so oft ihnen ein Geistlicher auf der Straße begegnet oder sie an einer Kirche vorbeifahren. Wer hier heute noch Kreuz trägt, schämt sich, könnte man denken.
Es steckt auch eine Christusmüdigkeit dahinter. Lieber reden wir von der Bewahrung der Schöpfung, vom Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, von der Wertschätzung des Ehrenamts, von der Geschlechtergerechtigkeit – aber immer seltener von Christus und seinem Erlösungswerk, und das drückt sich im Verschwinden des Kreuzes aus.
Wer noch Kreuze sehen will, muss Urlaub in Oberbayern machen. In Oberammergau sind die Kreuze noch immer das große Geschäft. Auch im Wald und in den Bergen begegnet man dort selbstverständlich Wege- und Bergkreuzen, geht Kreuzwege und Marterlpfade. Da ist das Kreuz noch nicht ganz ausgeblendet, und in Gaststätten, Klassenzimmern und Gerichtssälen hängt es so lange, bis ein Kläger vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Erfolg hat.
Aber Kreuze in Markkleeberg? Wir finden sie noch auf unseren Kirchtürmen, vor dem evangelischen Friedhof in der Koburger Straße, natürlich auf vereinzelten Grabmalen, und - etwas abgewandelt - an kirchlichen Einrichtungen wie dem Caritas-Kinderdorf und dem Diakonieheim „Katharina von Bora“. An zahlreichen Haustüren haben die Sternsinger zu Epiphanias ihr Kreidekreuz hinterlassen. Insgesamt aber ist die Ausbeute an Kreuzen nicht allzu reich.
Es wird ein Kampf gegen das Kreuz geführt. Manchmal gebärdet er sich wie ein Glaubenskrieg, heute eher unterschwellig als heimlicher Widerstand. Als ich ein Kind war, stieg eines Tages ein Lehrer in meinem Heimatkirchdorf auf einer Leiter an der Wand des Schulhauses zum Dachfirst empor und schlug mit dem Hammer das steinerne Kreuz herunter. So geschah es in den 1950er Jahren an hunderten ehemaliger Kirchschulen in der DDR. Von meinen Großeltern weiß ich, dass sie auch schon einen Kampf gegen die Kreuze erlebt hatten. In Nazideutschland traten die germanischen Runen und die Hakenkreuze an die Stelle des als Zeichen der Schwäche verachteten christlichen Symbols. Und noch früher wurden in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution die Kreuze von den Kirchtürmen abgeschlagen und die öffentlichen Gebäude stattdessen mit Hammer und Sichel oder rotem Stern bekrönt. Als meine Kinder zur Schule gingen und ein Halskettchen mit Kreuz trugen, gab es auch missmutige Lehrer, die es in der Schule verbieten wollten. Ansonsten wurde in der DDR-Zeit alles getan, das Kreuz und alles Christliche in der Schule nicht zu erwähnen, es also mundtot zu machen wie eine gefährliche Seuche. Stattdessen wurde unentwegt von den Verbrechen der Priester und der Kirche erzählt. Natürlich ist im Zeichen des Kreuzes auch Böses geschehen. Kinder in Klöstern wurden missbraucht, das Eiserne Kreuz wurde zum Kriegssymbol, und die Kreuzritter zogen mit Schwert und Schild zu Felde. Aber ehrlich: Wer unter uns hat so etwas selbst erlebt? Danke. Wir reden es nicht schön, aber wir ordnen es ein: Wie viel guten Kreuzgebrauch gab es, wie viel Missbrauch... Heute wird das Kreuz in Deutschland eher unterschwellig angegriffen, indem es vermieden wird, wo es nur geht, oder madig gemacht wird als „unzeitgemäßes“ Symbol. Für die Christen in islamischen Ländern allerdings ist das Kreuztragen manchmal lebensgefährlich.
Heute sind wir frei, uns zum Kreuz zu bekennen und Kreuze zu tragen. Wir tun es vielleicht zu selten und sind uns des Signalwerts nicht bewusst. Am Karfreitag hier in dieser Kirche ist es ein starkes und schönes Zeichen. Aber es genügt nicht, hier und heute das Kreuz zu schmücken. Wir sollen es im Alltag in der Welt tragen. Sein Gebrauch ist ein Glaubensbekenntnis. Die Gefahr, dass wir es zu viel benutzen und damit entwerten würden, ist weit, weit weg. Selbstverständlich gebrauchen wir es nicht aggressiv oder kreuzzugsmäßig und setzen andere nicht unter Druck damit. Aber sein Haus mit einem Kreuz zu zieren oder seine Wohnung, ein Kreuz zu tragen oder zu schlagen und ein christliches Grab und eine christliche Todesanzeige mit einem Kreuz zu verzieren, das sind Akte des Glaubens. Wir ziehen uns nicht zurück aus dem öffentlichen Raum, sondern bekennen Farbe, die Farbe „Kreuz“.
Natürlich ist es nicht nur ein äußerlicher Akt. Ein Kreuz zu tragen heißt auch innerlich, sich zu Christus zu bekennen, Leid zu tragen, Geduld zu haben, auf Gewalt zu verzichten, Schwäche zuzugeben, die Schwachen zu stärken, Frieden und Versöhnung zu stiften, die Wahrheit zu bekennen und vieles mehr… Wer außen ein Kreuz trägt, muss auch innen in seiner Lebensführung ein Kreuzblütler sein.
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