Predigt im Gottesdienst anlässlich der Ersterwähnung Deubens vor 1000 Jahren am 1. So. nach Trin.
Predigt vom 18.06.17 (Pfarrer Dr. Arndt Haubold)
Liebe Gemeinde,
das 1000. Jubiläum der Ersterwähnung eines Ortes führt uns in der Kirche, wo wir nach biblischen Haftpunkten suchen, zu interessanten Zahlenspielereien über die Zahl 1000. Im militärischen Bereich im alten Israel werden oft Tausendschaften erwähnt: „Saul hat 1000 erschlagen, aber David 10000.“ (1. Sam. 18,7) 1000 ist ein Begriff für Reichtum – 1000 Silberstücke hat der eine, 1000 Rinder der andere. Von 1000 Generationen ist immer wieder die Rede, wenn eine halbe Ewigkeit gemeint ist: „Der Herr gedenkt ewiglich an seinen Bund, an das Wort, das er verheißen hat für 1000 Geschlechter.“ (Ps. 105,8) Die große Zahl 1000 wird vor Gottes Zeit ganz klein: „Ein Tag vor dem Herrn ist wie 1000 Jahre und 1000 Jahre wie ein Tag“ (2. Ptr. 3,8) Wir könnten noch an die Urväter des Menschengeschlechts nach Adam und Eva bis zu Noah denken. Sie wurden ungefähr so alt wie dieser Ort, ihre Lebensalter sind mit 800, 900, ja 969 Jahren (Methusalem) angegeben. Wie diese Jahre damals gezählt worden sind, weiß freilich keiner, und es steckt auch eine andere Bedeutung dahinter: Die Menschen am Anfang der Geschichte werden dargestellt, als wären sie Gott gegenüber noch treuer gewesen, deshalb hätte er ihnen ein langes Leben geschenkt – aber im Laufe der Geschichte nahmen ihre Sünden zu, und Gott verkürzte ihre Lebensspanne bis auf die sprichwörtlichen siebzig Jahre. Und dann ist in der Offenbarung des Johannes vom „tausendjährigen Reich“ die Rede. Der Satan wurde 1000 Jahre ins Gefängnis geworfen, währenddessen die Märtyrer zur ersten Auferstehung gelangten und mit Christus 1000 Jahre regierten (Offb. 20,4). Hitler hat dieses biblische Bild missbraucht für seine 12 Jahre eines „tausendjährigen Reiches“, er verkannte nur die Parallelen, weil ja in der Bibel die zur Herrschaft kamen, die für Christus und nicht für Führer, Volk und Vaterland gestorben waren. Um dieses 1000jährige Reich ist es ein großes Geheimnis. Als im Mittelalter die Jahrtausendwende nahte, rief das große Ängste vor einem Weltuntergang hervor, aber auch irre Spekulationen über das anbrechende Reich Christi. Das lag allerdings 1017 so weit zurück wie heute für uns die Jahrtausendwende im Jahr 2000. Die Ängste vor einem unmittelbaren Weltende waren verflogen, man richtete sich wieder auf das Leben ein und glaubte, dass das Jahrtausend der Herrschaft Christi angebrochen sein könnte. Deshalb wurden vielerorts Kirchen und Klöster gegründet.
Was sind 1000 Jahre tatsächlich vor der Geschichte des Kosmos und vor Gottes Ewigkeit!? Ein Nichts. Aber was sind 1000 Jahre für uns, denen nur 70 zugesagt sind!? Vierzehn Generationen!
Versetzen wir uns einmal in jene weit entfernte Zeit, das Jahr 1017, in dem Deuben erstmals in einer Urkunde erwähnt worden ist! Wir müssen uns hier eine unregulierte, mäandrierende Pleiße vorstellen, umgeben von dichten Urwäldern. Noch verband keine befestigte Straße die Orte, sondern Schlammwege. Die wenigen Häuser des Dorfes waren aus Holz und strohgedeckt, die Kirche, die wahrscheinlich schon stand, nicht anders. Das Dorf mag viel älter sein, von der Zeit der Besiedlung während der Völkerwanderung ist die Rede, aber das Christentum und die deutsche Besiedlung fassten hier Fuß im 10. und 11. Jahrhundert. Von unserem Ort erfahren wir nun etwas dank einer Urkunde des berühmten Merseburger Bischofs Thietmar, zu dessen geistlichem Aufsichtsbezirk auch Deuben gehörte. Er schenkte am 4. November 1017 den Merseburger Kanonikern, also dem geistlichen Domkapitel, das für den Dom bestimmte Silber, Leinen und Wolle sowie den Honig- und Schweinezehnten des Burgwarts Schkölen und die beiden Dörfer Deuben und Budegast. Schkölen liegt bei Lützen, Budegast war einst bei Zwenkau gelegen, heute ist es nicht mehr existent. Und Deuben, das sind vermutlich wir, obwohl es auch noch ein Deuben bei Zeitz gibt, das ebenfalls in diesen Tagen 1000 Jahre Ersterwähnung feiert. Es ist auch nicht ganz klar, wie es sich mit den Schenkungen verhielt, aber ich glaube, die Deubener haben nichts geschenkt bekommen, sondern mussten bezahlen, wurden also verschenkt. Dafür können sie heute stolz auf 1000 Jahre Ersterwähnung zurückschauen! Sie hatten auch den Honigzins nach Merseburg abzuliefern, an drei Terminen im Jahr eine bestimmte Anzahl von Silberlingen zu zahlen, und dreimal jährlich mussten sie kostenlos Holzfuhren für das Domstift übernehmen. Wer das für eine harte Belastung hält, der möge aber erst einmal zusammenrechnen, welche Steuern wir heute zu zahlen haben! Vielleicht würden wir da lieber wieder den Honigzins und die Holzfuhren übernehmen.
Es ist zu vermuten, dass der Ort damals schon eine Kirche besaß. Ausdrücklich erwähnt wird sie freilich erst 400 Jahre später. Am 25. November 1403 wurde von den Rittern Peter, Günter und Petermann von Deuben und dem Junker Friedrich von Dobitz auf Gaschwitz Geld zu dem Gotteshaus gegeben und ihm ein Grundstück als dauerhafte Versorgungsgrundlage gestiftet. Die Kirche wurde also erneuert, nicht erst gegründet. Aus der Zwischenzeit jener ersten Jahrhunderte sind nur zwei Namen überliefert: ein Gumpert und ein Gunther von Deuben.
Wir können uns vorstellen, dass vor 1000 Jahren das Kyrie im Gottesdienst so ähnlich wie noch heute gesungen wurde und das Vaterunser, freilich in Latein, gebetet wurde. Vielleicht wurde auch schon das Pfingstlied „Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist“, Nr. 126 im heutigen Kirchengesangbuch, auf Latein gesungen (Veni creator spiritus). Eine Predigt gab es nicht, es wurde die Messe zelebriert. In den Fürbitten der Messe wurde für diejenigen gebetet, die Wohltäter der Kirche waren. So heißt es in der Urkunde von 1403: „…sol ein Jeglicher Pfarher daselbst zu Deuben die vorgenannte Stifterey des Gotshauses zu Deuben vier stunden begehen in dem jahre mit Vigilien und Seelmessen“ - welches später leider sträflich vernachlässigt worden ist – heute wollen wir fürbittend ihrer Seelen noch einmal gedenken. Vom Zins des Pachtlandes, das zur Kirche gehörte, wurde der Lebensunterhalt eines Priesters bezahlt, der allerdings schon damals in Großstädteln residierte. Das Kirchlein hatte wohl noch keine Glasfenster, sondern einfach Löcher in den Wänden. Kerzen waren kostbar, sie standen nur auf dem Altar, einem steinernen Tisch. Ein tief ausgehöhlter Stein nahm die Täuflinge ganz auf. Die Gottesdienstbesucher standen im kalten Raum. Sie trugen wollene oder härene Kleidung, die Füße mit Lappen umwickelt, und für heutige empfindliche Nasen dürfte es wie in einem Stall gerochen haben. Nur der Priester trug ein festliches Gewand. Er allein hatte auch ein Buch, aus dem er vorlas oder sang. Die Gemeinde schwieg. Es gab noch kein Instrument, weder Orgel noch Posaunen. Der Alltag der Menschen war von harter Feldarbeit geprägt, vom Kampf um das tägliche Brot und gegen die Unbilden des Wetters. Zahnschmerzen mussten lange ertragen werden, die Frauen waren unentwegt schwanger, und die Kinder starben wie die Fliegen.
Welche Themen des christlichen Glaubens mögen damals im Zentrum gestanden haben? Sicher nicht Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, sicher auch nicht die Frage, ob Homosexuelle im Pfarrhaus wohnen dürfen, und auch nicht die Fragen kirchlicher Strukturreformen. Vielleicht der Kampf mit dem Satan oder der Gehorsam gegen Gottes Gebot oder die Sehnsucht nach Wundern oder die Geschichten von den Heiligen oder die Angst vor der Hölle.
Was verbindet uns heute mit der Zeit vor 1000 Jahren? Welche Botschaft erreicht uns heute aus diesem Ereignis? Es ist der christliche Glaube mit seiner Kernbotschaft, auch wenn wir heute in manchem andere Schwerpunkte setzen oder andere Auslegungen der Heiligen Schrift finden – es ist grundsätzlich dieselbe Bibel, derselbe Glaube, dieselbe Kirche. Ein Ort sollte stolz sein auf eine solche historische Kontinuität. Kein anderes Volk der Erde als wir geschichtsgeschädigten Deutschen würde eine 1000jährige Tradition so beiseitewerfen und verleugnen, wie es bei uns in Deutschland oft geschehen ist und geschieht.
Es ist eine Frage des Respekts vor denen, die unseren heutigen Lebensstandard begründet haben, dass wir auch ihrem Glauben treu bleiben. Unsere Vorfahren haben den Wald gerodet, den Sumpf trockengelegt und den Boden urbar gemacht, auf dem wir heute unsere Gewerbegebiete bauen und mit unseren Autos fahren. Nicht alles war gut in diesen 1000 Jahren Christentum – wir müssen neben dem Stolz auch Demut zeigen. Es gab furchtbare Verirrungen in Kriegen und Verfolgungen, menschliche Eitelkeit und Ruhmsucht waren im Spiel, wenn eine Kirche schöner als zuvor erneuert wurde, die Gebote Gottes wurden immer wieder verletzt, und der Glaube erlag politischen Verführungen. Aber der Missbrauch hebt den guten Gebrauch nicht auf.
Es ist weiterhin der Gedanke an unsere Vergänglichkeit und unseren Kampf dagegen, der uns aus 1000 Jahren entgegentritt. Wie klein ist unser Wirkungsfeld, und doch sollen wir Spuren hinterlassen! Die Kirche ist der Platz, an dem die Generationen vor uns die deutlichsten Spuren hinterlassen haben. Zehntausende Taufen, Trauungen und Bestattungen sind in den Kirchenbüchern eingetragen. Auf den Epitaphien finden wir Namen aus früheren Zeiten, die hier begraben sind und im öffentlichen Leben gewirkt haben. In der Turmkugel stehen die Namen derer verzeichnet, die beim Neubau oder bei großen Reparaturen der Kirche mitgewirkt haben. Wo wird unser Name hinterlassen bleiben? Was tun wir, damit in noch einmal 1000 Jahren die Spur unserer Tage und unserer Person an diesem Ort, speziell in dieser Kirche erkennbar bleibt?
Und verteidigen und vertreten wir den christlichen Glauben mit aller Liebe, aber auch mit Entschiedenheit? Es ist nicht ganz so, wie das Fernsehen es uns in diesen Tagen mit der Serie „Was glaubst du?“ vor Augen führt. Es ist gut, über verschiedene Glaubensweisen zu informieren, für einen friedlichen Umgang zu werben und überhaupt öffentlich über das Thema Glaube zu sprechen. Aber Glaube ist kein Marktprodukt, das wir uns aus den Angeboten der globalisierten Welt einfach so nach Tagespreis oder Geschmack aussuchen könnten. Glaube hat immer etwas zu tun mit der geschichtlichen und kulturellen Prägung einer Gesellschaft über Generationen. Man kann andere Religionen nicht einfach irgendwohin verpflanzen – das wird immer künstlich bleiben. Ehe wir religiöse Blütenlese betreiben, sollten wir zuvor überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, zu den christlichen Wurzeln zurückzukehren, die die Diktaturen des 20. Jahrhunderts bei so vielen Menschen in unserem Land gekappt haben, und es erst noch einmal damit zu probieren.
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