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Predigt zu Jesaja 29, 17-24, vom 12. Sonntag nach Trinitatis, 27. August 2023, in der Auenkirche Markkleeberg-Ost
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Predigt zu Jesaja 29, 17-24, vom 12. Sonntag nach Trinitatis, 27. August 2023, in der Auenkirche Markkleeberg-Ost

Predigt vom 27.08.23 (Pfarrer Frank Bohne)

Die Glocken der Martin-Luther-Kirche laden Sie ein zum Gebet.

Liebe Gemeinde!
Schaut man dieser Tage in diese Welt, setzt sich den Nachrichten und Berichten über die Entwicklungen in Politik und Umwelt aus, möchte man schier verzweifeln. Kann denn da niemand was machen? Durchgreifen, die Welt in Ordnung bringen, dass es wieder eine Weile geht? Doch wo fängt man da an, und wo hört man auf?
Erich Fried, der scharfe Beaobachter menschlicher Schwächen, hat dazu vor gut 60 Jahren ein Gedicht geschrieben. Das einzige politische Gedicht, das er je geschrieben hat, wie er einmal in einem Interview sagte. Es heißt: „Die Maßnahmen“:
Die Faulen werden geschlachtet
die Welt wird fleißig
Die Hässlichen werden geschlachtet
die Welt wird schön
Die Narren werden geschlachtet
die Welt wird weise
Die Kranken werden geschlachtet
die Welt wird gesund
Die Traurigen werden geschlachtet
die Welt wird lustig
Die Alten werden geschlachtet
die Welt wird jung
Die Feinde werden geschlachtet
die Welt wird freundlich
Die Bösen werden geschlachtet
die Welt wird gut.
Es gehört zu den verheerendsten Wahnvorstellungen der Neuzeit, eine (schöne) neue Welt so zu machen, wie sie gefällt. Durch Ausmerzen, Wegsperren, Vernichten des Anderen, vermeintlich Störenden, Hässlichen und Bösen. Durchgreifen bis zur letzten Konsequenz...
Mir fallen Beispiele in der Geschichte ein. Ich denke an Calvinistische Kirchenzucht in manchen Schweizer Städten nach der Reformation. Dann die Konfessionskriege im Dreißigjährigen Krieg: Katholiken - weg mit ihnen! Evangelische - weg mit ihnen! Dann den Hexenwahn über hundert Jahre hin: gegen allzu selbstbewusste und kluge Frauen in den Jahrzehnten danach.
Auch in Amerika lief es nicht besser beim Schlachten der Urbevölkerung, unter christlich geprägten Regierungen. Dann die Schlacht-Felder des 1. Weltkriegs, und der Hunger im Hinterland als Waffe.
Hunderttausende Feinde wurden so beseitigt. Und in den Diktaturen des frühen 20. Jahrhunderts werden Millionen Andersdenkende, anders Aussehende, anders Glaubende in Lagern und Gulags  ausgeschaltet. Ein Begriff aus der Elektrotechnik. Für eine vermeintlich bessere Welt.
Hab ich vor Jahren noch über Erich Frieds Zeilen gelächelt, bleiben mir seine Verse heute fast im Halse stecken. Die fatale Logik, die er lakonisch, illusionslos, nüchtern, in streng parallel gebauten Versen, fast in biblischem Ton nebeneinandergestellt hat, haben auch Jahrzehnte nach der Niederschrift eine unerhörte Aktualität. Vernichtungs-Wille beherrscht noch immer Teile der Welt. Bis in unsere Tage wird
aussortiert, verhaftet, weggesperrt. Wird beseitigt, gemordet und geschlachtet. „Ethnische Säuberungen“ in Afrika, in Asien. In islamistischen Terror-Staaten Teile der eigenen Bevölkerung. In Osteuropa sind es zynische „Spezialoperationen“ zum Ausweiten der eigenen Macht. Und im kleiner werdenden Teil des demokratischen Europa greifen ähnlich primitive, dümmliche Ideen zur Lösung anstehender Krisen um sich, die auch an Erich Frieds Zeilen erinnern: Simplifizierung. Komplexitätsverweigerung. Geht’s nicht wie früher? Damit’s wieder schön wird!? Deutschland den Deutschen. Migranten ins Wasser. Die Nachdenklichen werden geschlachtet. Die Welt wird einfach.
Ein Wort von Jesaja schlägt andere Saiten an. Der Prophet singt ein Lied voll Seufzen, und doch voll Trost. Kein einfaches Lied, sondern kompliziert und auch ein Stückchen schrill. Es ist der Predigttext des heutigen Sonntags. Jesaja schreibt:

Wohlan, noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.
Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Vor gut zweieinhalbtausend Jahren sahen sich die Menschen am östlichen Mittelmeer genauso chaotischen Zeiten ausgeliefert. Die Großreiche der Ägypter, Assyrer und Babyloner konkurrierten miteinander um die Vorherrschaft. Vasallenkönige versuchten,
für sich selbst das Beste herauszuholen. Bündnisse wurden geschmiedet, und wieder gebrochen. Israel und Juda mittendrin. Zu den äußeren Bedrängnissen kamen unerträgliche soziale Verwerfungen in den
kleinen Ländern hinzu. In prophetischen Büchern der Bibel, bei Hosea und Amos können wir es nachlesen. Auch bei Jesaja. Wenn man allein die Überschriften über den Abschnitten in seinen ersten 39 Kapiteln in der Bibel nacheinander liest, gewinnt man einen Eindruck, wie er als Prophet hin und her geworfen wurde, was sich zu seinen Lebzeiten alles ereignete. Dass er wie ein Schwimmer in schwerer See mit letzter Kraft und oft verzweifelt versucht, den Kopf über Wasser zu halten, nicht unterzugehen in den Ereignissen seiner Zeit. Viel Bedrohliches wird berichtet. Von Gericht und Untergang ist die Rede. Und doch
immer wieder unterbrochen von Worten der Hoffnung. Dass Friede möglich ist. Dass es Verständigung, Ausgleich zwischen den Menschen geben wird. Arme, Ausgebeutete und an den Rand Gedrängte sollen aufatmen. Jesaja verkündet, dass Gott sein Volk nicht aufgebeben hat. Seine Menschenkinder sollen Zukunft haben. Eine Zukunft, die lebenswert ist. Weil Gott eingreift, dem Rad in die Speichen fällt, die Schussfahrt ins Verderben stoppt, ja sogar umkehren wird. Davon singt unser Pedigtwort. „Die große Wandlung“ steht als Überschrift in der Luther-Bibel.
Der Libanon soll fruchtbares Land werden, und nutzbare Äcker zu üppigstem Wald. Taube sollen hören auf Worte des Buches, die Augen der Blinden aus Dunkel und Finsternis herausfinden, und die Elenden Freude haben. Sogar die Ärmsten der Armen.
Ökologische Verödung gab es auch schon zu Jesajas Zeiten. Die begehrten Zedern des Libanon hatten auch israelitische Könige abgeholzt. Für Stadterweiterungen und Prunkbauten der Reichen.
Ob die Phantasie eines Jesaja ausgereicht hätte für heutige Probleme? Die vermüllten und überfischten Meere, die brandgerodeten Regenwälder in Brasilien und Indonesien. Zum Sojaanbau der Futtermittel-Industrie...

Wir lassen uns doch die Wurst nicht von der Butter nehmen von ein paar grünen Spinnern! Und den Bio-Diesel aus Palmöl aus dem Tank! Damit wir weiter düsen können jenseits von 130, schließlich sind wir freie Bürger, haben mit harter Arbeit dafür bezahlt...
Der Libanon soll blühen. Das steht als Gottes Gegenbild, auch gegen sich ausbreitende Wüsten, verdorrte und brennende Wälder und staubige Äcker bei uns. Die Macht der Tyrannen soll ein Ende haben… Auch der Zynismus der Populisten, wie umzugehen sei mit Menschenkindern, die bombardiert, vertrieben und geschunden wurden auf abertausend Kilometern ihrer Flucht. Und die, die sich abstrampeln in unserm Land, sich durchwurschteln und kämpfen für ein erträgliches Einkommen und das ihrer Kinder, weil Wohlstandspropheten sie schlicht abgeschrieben haben auch beim nächsten Wachstum, und keinen Finger rühren wollen, damit Leistung sich wieder lohne…
Sie sollen aufatmen, spricht Gott. Gerechtigkeit erfahren beim Verteilen des Kuchens... Als Blindgemachte durchsehen können durch die Hindernisse der Anträge und Gesetze, die einflussreiche Besitzende um sich aufgerichtet haben, damit ja nichts abfließt von den Erträgen ihrer Immobilien und Fonds. Und Despoten, die alles wegsperren, was nicht nach ihrer Pfeife tanzt, und Ideologen, die Menschen dumm machen mit giftigen Parolen, sie werden verschwinden. So will es Gott.

Alles soll. Alles muss anders werden. Ja. Aber wie?
Nicht durch das Schlachten des Andern. Mit unserm Glauben fängt es an. Glaube, der sich erinnert, dass nicht die brutale Realität das einzige ist, was zählt in dieser Welt. Hoffnungsfroher Glaube, der die Gültigkeit bestreitet, dass es halt ist wie es ist und auch so bleiben muss. Solcher Glaube hat schon einmal herausgeführt aus Knechtschaft und Gewalt.
Die Sehnsucht meines Glaubens wird dann deine und meine Seele stärken gegen das Gift der Resignation. Gott selbst redet durch solche Hoffnungstexte an gegen ein Sich-Abfinden, gegen die Verzweiflung, die manche Alltag nennen. Gott lässt unsern inneren Menschen wieder aufrecht gehen. Denn der scheint irgendwie abgetaucht und verbogen worden zu sein in den letzten 20 Jahren.
Nicht nur von außen kommt uns Kraft. Oft kommt sie aus dem Innern. Ohne die Kraft, die aus dem Glauben kommt, kann auch der äußere Mensch nicht aufstehen und standhalten.
Und schließlich erinnert mich Jesajas Lied an die Größe und Majestät unsres Gottes. Ein Gott, der nicht nur meinen Interessen, meinen Wünschen und manchmal guten Taten entspricht. Glaube denkt von Gott nicht klein. Es gibt Größeres und Wichtigeres in unserm Leben als nur das Vordergründige und Erwartbare, das Mach- und Schaffbare und das Nützliche.
Deshalb ist es noch lange nicht ausgemacht, dass es nicht doch die große Wandlung gibt, in der die, welche irren in ihrem Geist, … Verstand annehmen und die, welche bloß noch murren, sich belehren lassen.
Große Wandlungen – sie beginnen klein. Wie das Senfkorn im Boden, hat Jesus gesagt. Tot scheint es, doch dann bricht es durch zu neuem Leben. Hat solcher Glaube ein Chance in dir und mir? Wenn ja, dann wird alles gut. Dann hat auch Kirche Sinn und Zukunft. Wenn nein, dann ist es mehr als überfällig, dass sie sich in Strukturdebatten zerfasert, auflöst, überflüssig wird.

Mit einem andern Text will ich schließen. Ein Gedicht. Doch eigentlich viel mehr: ein Bekenntnis. Eins, das Erich Fried gewiss mitsprechen würde. Es ist von Max Feigenwinter und ich habe es gestern im Dom zu Halle in die Hand bekommen. Dem Dom, den Luthers Erzfeind Albrecht einst hat bauen lassen. Es lag dort auf der Bank. Und weil ich nicht an Zufälle glaube, war es wohl für mich und diese Predigt bestimmt. „Ich will nicht zulassen…“ ist es überschrieben. 

Ich will nicht zulassen,
dass mich Verpflichtungen behindern, Gebote einengen,
Aufgaben ersticken, Forderungen erdrücken.
Ich will wach sein, mir Zeit lassen, mir Raum gönnen.
Sorge tragen zu dem, was in mir angelegt ist,
behutsam pflegen, was in mir wächst.
Bereit und stark werden für das, was auf mich zukommt.
Mich ausrichten auf das, was letztlich wichtig ist.
Ich will werden, was ich sein kann.

Amen.

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Pfarrer Frank Bohne
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