Predigt am Sonntag Rogate zu Matthäus 6, 5-13 (17.5.2020), gehalten in der Auenkirche zu Markkleeberg von Pfarrer Frank Bohne
Predigt vom 17.05.20 (Pfarrer Frank Bohne)
Die Glocken der Martin-Luther-Kirche laden Sie ein zum Gebet.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mir euch allen!
Das Wort für die Predigt steht im Evangelium nach Matthäus im 6. Kapitel:
(Einheitsübersetzung)
Wenn ihr betet, macht es nicht wie die Heuchler! Sie stellen sich beim Gebet gern in die Synagogen und an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden. Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet. So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel, / geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, / dein Wille geschehe / wie im Himmel, so auf der Erde. Gib uns heute das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Schulden,/ wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben! Und führe uns nicht in Versuchung, / sondern rette uns vor dem Bösen! Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Liebe Gemeinde!
Nein, heute keine Predigt: Statt dessen ein Predigtprotest! Denn so geht das nicht! Schon dieser Sonntag mit seinem Namen: „Rogate“ ?!
Auf den Singe-Sonntag - an dem nicht gesungen werden durfte - nun wohl der Bete-Sonntag?! Auch so, das dürfen wir wohl noch?! Was glaubt das Gesundheitsamt und die Regierung, was glaubt das Landeskirchenamt, ja was glaubt Gott eigentlich, was wir seit Monaten tun?
Kein Konfi-Unterricht, keine Gruppen, kein gemütliches Kaffeetrinken in vertrauter Runde. Statt dessen: Beten, nichts als Beten.
Viel geplappert haben wir wahrlich nicht, wie es bei Matthäus heißt. Dazu gab es ja auch keine Gelegenheit. Statt dessen: Gebets-Stille vorm Altar, wer sich raus getraut hat hinter verriegelter Tür. Beten zu Haus im stillen Kämmerlein! Beim Geläut, wenn du's hörst! Mancher reihte sich ein, der das Beten über Jahre als absonderliche Geste abgelegt hatte. Dann kamen die Kurz-Gottesdienste: Gebete ausgebaut. Was sonst! Fürbitte für eine aus der Balance geratene Welt. Und nun auch noch das Vaterunser - als Schwerpunktthema? Zweimal haben wir es in den Lesungen gehört: im Evangelium und als Predigttext. Und dann auch noch als verordnetes – unsingbares! - Wochenlied: „Vater unser im Himmlereich“. Es ist gerade als Choralbearbeitung auf der Orgel verklungen...
Was soll einem dazu noch Kreatives einfallen? Zum Vaterunser! Das sprechen doch sogar Ausgetretene mit, auf dem Friedhof, wenn die Lippen sonst auch zugepresst bleiben.
Rogate: Bittet. Betet. Nein danke, mir reicht's! Das hältst du doch auch als Pfarrer im Koppe nicht aus… Ich will nicht predigen übers Gebet, nur weil's dran ist. Weil Rogate ist.
Auch erinnere ich mich an einen Prediger - es war in einem Urlaub -, der zu Beginn seiner Ansprache über einen Psalm behauptete, über ein Gebet könne man sowieso nicht predigen - und es dann doch ziehmlich ausführlich tat. Für welches Gebet könnte die Warnung zutreffender sein als für das Gebet aller Gebete: das Vaterunser ?! Da scheint doch alles auf der Hand zu liegen. Das kannst du nur mitbeten. Nicht predigen.
Oder soll man eine Bitte herausgreifen? Welche denn? Zum Beispiel: Dein Reich komme! Doch Vorsicht: Wollen wir das wirklich, dass sein Reich kommt. Hier und jetzt? Wir würden wohl eher ein dummes Gesicht machen, wie dieses Reich aussieht. Ganz anders als das was wir erwarten und uns wünschen. Auch, wen wir darin vorfinden. Und wen nicht…
Auf dem Rand eines Brottellers, den es bei uns zu Hause gab, stand geschnitzt: „Unser täglich Brot gib uns heute“. Der Teller kam nur auf den Tisch bei Geburtstagen und höheren Festen, wenn Besuch da war, der zum Abendbrot blieb. Gab Gott nur dieses Brot? Was war mit dem anderen über die Woche…? Und dem, wofür meine Eltern schufteten in der Bäckerei, von dem Brot ging bei den Leuten auch immer ein Teil in die Tonne...
Als Kind erinnere ich mich an einen Schwarz-Weiß-Film aus den 50ern. „Der Untergang der Titatic.“ Als der Riesendampfer schon schräg im Wasser stand, sprachen die Menschen als letztes gemeinsam das Vaterunser, dann versank er in den Fluten. Eine erschütternde Szene, die der Regisseur sich selbst und den Kinobesuchern so vielleicht erträglich machte. Aber trifft dies das Vaterunser nicht bis ins Mark? Ein Gebet für die allerletzte Not, vor dem Untergang?
Ich weiß: Das Gebet hat eine konzentrierende, eindringene Kraft. In wenigen Sätzen konfrontiert es den Beter mit sich selbst. Uns … mit uns selbst. Wenn es nicht zur letzten Rest-Routine konventioneller Christlichkeit herabgesunken ist. Auch das gibt es ja, wo es ohne Sinn und Verstand runtergerattert wird. Was denken wir, wenn wir es aus Gewohnheit sprechen? Kann man / kann frau dabei überhaupt denken? Oder ist es manchmal so, dass das Vaterunser selber in uns denkt? Andres für eine Zeitlang in uns zum Schweigen bringt? Solche „Gedankenlosigkeit“ wäre ja ein Gewinn…!
Luther hat über das Vaterunser dreimal in seinem Leben ausführlich geschrieben, und mehrfach darüber gepredigt. „Sieben Anzeigungen unserer Dürfigkeit“ hat er es genannt. Das Vaterunser zeigt uns, wie dürftig unser Leben ist. Wie be - dürftig wir bleiben, selbst wenn wir alles haben. Es zeigt uns, was uns fehlt. Worauf wir angewiesen bleiben. Das ist für moderne Menschen starker Tobak.
Worüber sollte man also predigen, wenn man das Vaterunser hernimmt? Dem Sozialreformer bietet es kaum Anätze, einzuhaken. Auch dem Moraltheologen nicht. Kein kurzatmiges „man sollte, man müsste…“ Keine Imperative, nur Bitten. Es führt nicht einmal schwer eingängliche dogmatische Glaubenssätze auf, wie sie im Credo (Glaubensbekenntnis) zu Hauf zu finden sind, oder uns in Wundererzählungen zugemutet werden. Ich könnte sogar so weit gehen und behaupten: in diesem ultimativen Gebet der Christen findet sich nicht einmal typisch Christliches: keine Jungfrauengeburt, keine Menschwerdung Gottes, nicht die Frage der Auferstehung von den Toten.
Christlich wird es erst dadurch, dass es im Matthäus-Evangelium Jesus von Nazareth spricht. „So sollt ihr beten.“, sagt er seinen Jüngern. „Das sei künftig eure Wunschliste an Gott den Herrn!“ Das Vaterunser als Minimum und Maximum zugleich. Nicht weniger, nicht mehr.
Und was ist eigentlich mit dem Verfasser? Spricht es Jesus als „erster Christ“? Oder tut er das als frommer Jude? Im Gebet findet sich nichts, was ein frommer Jude so nicht beten könnte. Ähnlich dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter, mit dem Jesus ohne Vorbehalt das Schema Jisrael als obersters Gebot bekräftigt. Im Vaterunser begegne ich dem frommen Juden Jesus als meinem christlichen Herrn. Insofen greift das Genitiv-Pronomen „unser“ - unser Vater - vielleicht viel weiter, als wir zu ahnen gewohnt sind...
Dieses Gebet hat's in sich. Es ist einer der Texte, die uns als Christen in aller Verlorenheit und Versunkenheit, sogar in der Verdämmerung, noch immer nahe bleiben.
Herbert Wehner, der alte Haudegen der SPD, der nicht erst in seinen letzten Lebensjahren zu seinem lutherischen Glauben zurückgefunden hat, ließ sich in seinen letzten, von schwerer Demenz überschatteten Lebenstagen immer wieder hintereinander zwei Gebete vorlesen: Psalm 23 und das Vaterunser. „Das hast du gut gemacht“, sagte er dann zu seiner Frau oder der Stieftochter, hielt ihre Hand und streichelte ihr den Kopf. Ja, das Gebet hat eine Kraft, die uns bis in die tiefsten Tiefen erreichen und begleiten wird, weit mehr, als man darüber predigen kann.
So. Das musste mal raus. Als Protest. Am Ende heißt es dann:
Amen.
Predigtlied: EG 419 „Hilf, Herr meines Lebens“
Die Melodie des Liedes wurde auf der Orgel gespielt. Dann hat die Gemeinde den Liedtext laut miteinander gelesen. Darauf folgte noch einmal die Melodie auf der Orgel.
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