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Zur gegenwärtigen Diskussion um das Verhältnis von Homosexualität und Kirche nicht nur in Sachsen
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Zur gegenwärtigen Diskussion um das Verhältnis von Homosexualität und Kirche nicht nur in Sachsen

Seit Monaten tobt in unserer sächsischen Landeskirche ein Streit, wie ich ihn als Pfarrer dieser Landeskirche in über 30 Dienstjahren nicht erlebt habe. Der Streit geht um ein Nebenthema. Homosexualität wird weder in den Glaubensbekenntnissen noch in den Bekenntnisschriften noch in der Verfassung oder der Kirchgemeindeordnung unserer Kirche erwähnt. Im Vergleich dazu wird seit 30 Jahren in unserer Landeskirche eine uneinheitliche Abendmahlspraxis geübt (mit Kindern oder ohne Kinder), die sich ebenfalls nicht mit dem wörtlichen biblischen Zeugnis vereinbaren lässt, aber an dieser zentralen Glaubensfrage, die z. B. ökumenisch hochrelevant ist, hat sich keine Bekenntnisgemeinde unserer Landeskirche bisher engagiert. Hier wird ein Glaubenskampf ausgerufen, der eine Schieflage hat.

Es geht, wie alle zugeben, dabei nur um eine Minderheit – und um ein Prinzip. Allerdings meine ich, dass man das Problem nicht auf vielleicht 10 eingetragene Lebenspartnerschaften in einem sächsischen Pfarrhaus reduzieren darf, die es betreffen könnte. Denn nach dem Verständnis des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen gibt es in der evangelischen Kirche keine speziellen Gebote für Kleriker. Jeder Christ steht auf seiner Stufe in der Gemeinde in der Verkündigung, insofern geht es um hunderte, wenn nicht tausende Homosexuelle in unseren Gemeinden.

Der wahre Grund des Streites ist nicht die Homosexualität, sondern das Schriftverständnis. Seit Monaten wird den Christen, die gegenüber Homosexuellen liberaler denken, unter der Hand vorgeworfen, sie seien nicht bibeltreu. Dagegen möchte ich mich verwahren. Seit Generationen werden evangelische Pfarrer im historisch-kritischen Schriftverständnis ausgebildet, sie werden aufgrund dieser Ausbildung examiniert und ordiniert – unsere Kirche erkennt dieses Schriftverständnis damit an. Jetzt aber wird eine Ketzermacherei losgetreten, nach der alle nicht im rechten Glauben zu stehen scheinen, die nicht dem wörtlichen Schriftverständnis anhängen. Wieso hat eine Zahl von Pfarrern plötzlich vergessen, was sie gelernt hat, und wieso hat sie ihre Gemeinden nicht theologisch weiterentwickelt? Es gibt unterschiedliche Schriftverständnisse, und es gehört mindestens zur geschwisterlichen Toleranz in einer Landeskirche, dass man diese akzeptiert und auch seine Gemeindeglieder nicht einseitig auf Rechtgläubigkeit trimmt, denn Pfarrer können wechseln, und auch Gemeinden verändern ihre Zusammensetzung und ihr Lehrverständnis. Ich möchte mir also nicht länger den Ketzerhut aufsetzen lassen, wenn ich von einem nicht-buchstäblichen Schriftverständnis ausgehe und zwischen bleibenden Wahrheiten und zeitbedingten Aussagen der Bibel unterscheide – mich dabei aber durchaus auf dem Boden der Bibel verstehe.

Ja, wir können aus der Bibel keine wörtlich gute Begründung für die Akzeptanz der Homosexualität herleiten – da hätten wir für die Polygamie im Pfarrhaus bessere Karten. Aber ist die Bibel wirklich ein Anwendungsbuch für alle Lebenslagen? Es gibt viele Bereiche des modernen Lebens, für die wir aus der Bibel keine wörtliche Anleitung entnehmen können – der gesamte Bereich der Technik etwa oder der modernen Kunst. Es ist aus meiner Sicht schon ein großer Irrtum, wenn wir die Bibel als naturwissenschaftliches Werk für die Frage der Weltentstehung benutzen. Fragen sexueller Praktiken sind kulturelle Fragen und unterliegen geschichtlichen Entwicklungen, sie sind keine ewig gültigen Glaubensfragen. Fragen nach dem Zölibat, nach der Wiederverheiratung Geschiedener, nach dem Familienoberhaupt haben sich unter Christen deshalb immer wieder gewandelt.

Eine wichtige Rolle spielt im gegenwärtigen Streit die Behauptung, die klassische, auf Vermehrung angelegte Familie sei das biblische Leitbild nach der Schöpfungsordnung und widerspreche homosexuellen Praktiken. Aber auch ein Leitbild schließt andere Lebensentwürfe nicht aus. Sonst dürften wir nur Pfarrfamilien mit Kindern im Pfarrhaus einziehen lassen! Jeder und jede alleinlebende Geistliche stünde unter dem Verdacht, nicht schöpfungsgemäß zu leben und evtl. ein verborgener Homosexueller zu sein. Oder was wäre mit Müttern unehelicher Kinder? Im letzten Jahr haben wir sie bewusst zur Taufe in unsere Kirchen eingeladen, jetzt stigmatisieren wir sie wieder als nicht schöpfungsordnungsgemäß lebend! Wenn wir aber Mütter mit unehelichen Kindern akzeptieren, gibt es auch keinen Grund, lesbische Frauen als nicht schöpfungsordnungsgemäß auszugrenzen, denn sie können ohne Probleme Kinder bekommen. Das biblische Leitbild gerät also auch in Schieflage, wenn wir es wörtlich nehmen.

Ein weiteres Argument derer, die Homosexualität ablehnen, ist das im AT und NT gleichermaßen deutlich bestätigte Verständnis der Homosexualität als Sünde, das sich von anderen Beispielen wie die einst auch umstrittene Frauenordination abhebe. Dazu verweise ich jedoch auf einen anderen biblischen Vergleich: das Bilderverbot. Die Anbetung von Bildern wird ebenso im AT wie im NT an vielen Stellen explizit als Sünde hervorgehoben, so dass es von den Gemeinden, die aus Schriftgründen die Homosexualität verwerfen, in gleicher Weise ernstgenommen werden müsste. Sie müssten also, wenn sie Homosexuelle aus dem Pfarramt ausschließen wollen, auch die Bilder aus ihren Kirchen entfernen, wie es radikale Kräfte der Reformation tatsächlich getan haben! Anders als bei der Frage der Homosexualität hat es in der Kirchengeschichte jahrhundertelange wirkliche Auseinandersetzungen um die Verehrung von Bildern gegeben (den ikonoklastischen Streit in der orthodoxen Kirche und die reformierte Bilderstürmerei bei Calvin und Karlstadt). Und doch haben wir dieses Gebot heute in unserer Kirche mit Berufung auf Martin Luthers Dekalogversion stillgelegt - nicht für ungültig erklärt, aber für zeitbedingt – sollte uns das nicht dann in der Frage der Homosexualität ebenso möglich sein?

Nur am Rande sei erwähnt, dass von Millionen orthodoxer Christen in der Welt bis heute Orgelmusik abgelehnt wird, weil sie heidnische Ursprünge hat. Sie verstehen diese sakrale Musik auch als Sünde.

Wer wirklich mit dem wörtlichen Zeugnis der Bibel gegen die Akzeptanz von Homosexualität kämpft, der sollte konsequenterweise auch den Mut aufbringen und – wie es die Bibel tut – die Todesstrafe für Homosexuelle fordern – und gleich noch für Ehebrecher und Gottesleugner, denn so steht es in der Bibel geschrieben! Oder sollte das dann doch kulturellen Veränderungen unterliegen?

Es gibt leider eine lange, dunkle Linie der Intoleranz in unserer Kirche bzw. der Ablehnung sich kulturell wandelnder Ansichten und Gegebenheiten: Das fängt bei der Frage „Evolution oder Schöpfung?“ an, geht weiter über die Frage der Frauenordination, hat früher einmal die Frage der Sezierung toter menschlicher Körper betroffen und hat sich an der Frage der Verbrennung von Leichen entzündet, hat jahrhundertelang im Verhältnis zwischen Juden und Christen für Feindschaft gesorgt, hat das kopernikanische Weltbild mit dem Scheiterhaufen bedroht und anderes mehr. Und immer hat dabei die vermeintliche Treue gegenüber der Bibel eine Rolle gespielt – eine aus meiner Sicht falsch verstandene Treue gegenüber einer einseitig verstandenen Bibel.

Die Wahrheit der Bibel ist tiefer und umfassender, als sie mit der Berufung auf Einzelstellen und ihre wörtliche Befolgung erfasst werden kann. Sie ergibt sich aus der Fülle und dem Gesamtzusammenhang der Bibel, aus theologischen Erkenntnissen und Deutungslinien, wie sie gerade Luther angewandt hat, und aus der Einsicht, dass mein eigenes Bibelverständnis und das jedes Lesers nicht fehlerfrei und nicht allein richtig sein kann, so dass Toleranz gegenüber anderen Deutungen der Bibel stets angezeigt ist. Diese Toleranz ist keine Gleichgültigkeit und auch keine Untreue gegenüber der Bibel. Sie ist aus meiner Sicht auch in der Debatte um die Homosexualität nötig, bei der wir uns sicher nicht so bald einigen können. Der indirekte Druck auf die Landessynodalen und die offenen Drohungen mit einer Kirchenspaltung sind für mich keine Zeichen lebendigen Glaubens, sondern falscher Ängstlichkeit.

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Pfarrer Dr. Arndt Haubold
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